Beschleunigungsgebot im Hauptverfahren verletzt
Das Bundesgericht stellt eine Verletzung des haftrechtlichen Beschleunigungsgebots fest, weil zwischen Anklageerhebung und Hauptverhandlung deutlich mehr als sechs Monate liegen (BGer 1B_330/2015 vom 15.10.2015).
Das ist dem Bundesgericht aus Sicht des Beschleunigungsgebots in Haftsachen zu lange:
Allerdings liegen zwischen der Anklageerhebung und der angesetzten Hauptverhandlung (am 19./20. November 2015) deutlich mehr als sechs Monate. Die kantonalen Instanzen behaupten mit Recht nicht, dass es sich hier um einen besonders schwierigen oder komplexen Straffall handeln würde. Solches liesse sich auch den Akten nicht entnehmen. Insofern ist den kritischen obiter dicta der Vorinstanz zuzustimmen (vgl. dazu oben, E. 4.4.2) [E. 4.4.6].
Das Bundesgericht hält die Verletzung des Beschleunigungsgebots in Beachtung des Beschleunigungsgebots gleich selbst im Urteil fest:
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, und Ziffer 1 des Beschlussdispositives vom 27. August 2015 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, wird wie folgt geändert. “Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Es wird festgestellt, dass die Verfahrensleitung des Bezirksgerichtes Dielsdorf, I. Abteilung, das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.”
Das spart dem Kanton Zürich ja dann auch wohl die obligatorische Entschädigung des teilweise obsiegenden Beschwerdeführers im Verfahren vor der Vorinstanz.
Hier noch die Erwägungen zu den “verschiedenen Beschleunigungsgeboten”:
4.4.3. In diesem Zusammenhang vermischt die Vorinstanz Fragen des allgemeinen Beschleunigungsgebotes in Strafsachen (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 5 Abs. 1 StPO), welche in der Regel vom Sachrichter zu beurteilen sind, insbesondere im Rahmen der Festlegung einer allfälligen Strafreduktion wegen einer insgesamt zu langen Dauer des Strafverfahrens (vgl. BGE 130 IV 54; 124 I 139; 117 IV 124 E. 3-4 S. 126 ff.), mit dem grundrechtlich und gesetzlich separat verankerten besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 31 Abs. 3-4 BV, Art. 5 Ziff. 3-4 EMRK, Art. 5 Abs. 2 StPO). Die Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen ist nach der dargelegten einschlägigen Praxis (oben, E. 4.2) grundsätzlich im Haftprüfungsverfahren und von den zuständigen Haftprüfungsinstanzen zu beurteilen und – soweit notwendig – zu sanktionieren.
4.4.4. Eine Feststellung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO, Art. 31 Abs. 3-4 BV) wäre nach der dargelegten Rechtsprechung in das Dispositiv des Haftprüfungsentscheides aufzunehmen gewesen. Wie dargelegt, hat die Vorinstanz die Frage im Ergebnis jedoch ausdrücklich offen gelassen. In Nachachtung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen verzichtet das Bundesgericht hier auf eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz und nimmt die Prüfung der betreffenden Rüge als Haftbeschwerdeinstanz selber vor (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG).
Ich frage mich immer wieder, was der “durchschnittliche” Beschuldigte von dieser Feststellung des Verstosses gegen das Beschleunigungsgebot hat, zumal sich die Entschädigung im – ohne Weiteres verdienten – Honorar für den Verteidiger erschöpft Auch die Strafverfolgungsbehörden müssen für weitere Verfahren keine Konsequenzen ziehen, so dass dem Beschuldigten nicht einmal eine Winkelriedfunktion zukommt.
Entgegen dem Titel des Beitrags wurde gemäss Bundesgericht hier gerade nicht das Beschleunigungsgebot im Hauptverfahren, sondern dasjenige in Haftsachen verletzt, wobei sich mir diese Differenzierung nicht wirklich erschliesst (m.E. gibt es nur ein einheitliches Beschleunigungsgebot, dessen Verletzung nach den konkreten Umständen, wozu u.a. auch die Haft gehört, zu prüfen ist). Auch sonst erscheint mir die Begründung wenig luzide, attestiert das Bundesgericht der 1. Instanz doch ausdrücklich, die (insoweit nicht triviale) Verfahrensleitung bzw. Verhandlungsvorbereitung mit offenbar zahlreichen Anträgen und Beschwerden beförderlich vorangetrieben zu haben, nur um dann zu konstatieren, der schliesslich für die HV angesetzte Termin sei zu lange nach Eingang der Anklage (nicht etwa: zu lange nach der letzten prozessleitenden Handlung), wobei das Gericht die Termine ja bekanntlich nicht alleine, sondern in Absprache mit allen Parteivertretern festsetzen muss…