Beschleunigungsgebot und Strafzumessung

In einem heute online gestellten Entscheid (6B_105/2007 vom 02.11.2007) hat das Bundesgericht eine Beschwerde als aussichtslos abgewiesen. Gerügt wurde eine Verletzung von Bundesrecht, weil die Vorinstanz bei der Strafzumessung eine Verletzung des Beschleunigungsgebots zu Unrecht nicht berücksichtigt habe. Das Verfahren habe fast 6 1/2 Jahre gedauert.

Das Bundesgericht äussert sich zunächst zum Verhältnis zwischen dem Beschleunigungsgebot und dem Strafmilderungsgrund:

Nach Art. 33 StPO Zürich, Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 5 Ziff. 3 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist. Das Beschleunigungsgebot gebietet den Behörden, das Strafverfahren von dem Augenblick an, in dem der Angeklagte über den auf ihm lastenden Verdacht in Kenntnis gesetzt ist, ohne Verzögerung durchzuführen, um ihn nicht unnötigerweise verfahrensbedingten Ängsten auszusetzen. Dabei handelt es sich um eine an die Strafverfolgungsbehörde gestellte (An-)Forderung, die sich vom mildernden Umstand der verhältnismässig langen Zeit unterscheidet (Art. 64 vorletzter Absatz aStGB). Dieser mildernde Umstand steht im Zusammenhang mit der nahe bevorstehenden Verjährung und setzt voraus, dass sich der Angeklagte in der Zwischenzeit wohl verhalten hat. Da Verzögerungen im Strafverfahren nicht geheilt werden können, hat das Bundesgericht aus der Verletzung des Beschleunigungsgebotes Folgen im Bereich der Strafe abgeleitet. So führt die Verletzung dieses Grundsatzes in den meisten Fällen zu einer Strafreduktion, bisweilen sogar zum Verzicht auf jegliche Strafe, oder auch zu einer Einstellungsverfügung (BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170, mit Hinweis). Die Frage der Vertretbarkeit der Dauer eines Verfahrens bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalles. Diese Umstände gebieten im Allgemeinen eine Gesamtbetrachtung, die insbesondere der Komplexität der Angelegenheit, dem Verhalten des Angeklagten und demjenigen der zuständigen Behörden Rechnung trägt (BGE 130 IV 54 E. 3.3.3 S. 56, mit Hinweis; Pra 2005 Nr. 10). Die angefochtene Entscheidung kann nur aufgehoben werden, wenn eine Strafminderung notwendig ist; dazu ist es nötig, dass eine krasse Zeitlücke (im Ablauf) seitens der Strafbehörde zu Tage tritt; es genügt nicht festzustellen, diese oder jene Handlung hätten ein bisschen rascher vorgenommen werden können, wenn schliesslich, mit Rücksicht auf die zu bewältigende Arbeit, die Gesamtdauer des Verfahrens vernünftig erscheint. Gemäss europäischer Rechtsprechung erscheinen als krasse Lücken eine Untätigkeit von 13 oder 14 Monaten im Stadium der Untersuchung, eine Frist von vier Jahren, um über eine Beschwerde gegen eine Anklagehandlung zu entscheiden, eine Frist von zehn oder elfeinhalb Monaten für die Weiterleitung eines Falles an die Beschwerdeinstanz (BGE 124 I 139 E. 2c S. 144, mit Hinweis; Pra 1998 Nr. 117) (E. 3.3).

Im vorliegenden Fall konnte das Bundesgericht keine Verletzung des Beschleunigungsverbots erkennen, welche bei der Strafzumessung hätte berücksichtigt werden müssen. Dabei lässt ein Argument aufhorchen, das in der kantonalen Praxis nicht sehr ernst genommen wird, jedenfalls dann nicht, wenn es von der Verteidigung vorgetragen wird (vgl. die durch mich hervorgehobenen Stellen):

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers handelt es sich um einen komplexen Fall. Zum Verhalten der Behörden und des Beschwerdeführers wendet jener ein, nicht er, sondern die Untersuchungsbehörde habe die jeweiligen Rechtsmittel ergriffen. Dem ist zu entgegnen, dass sowohl die kantonale als auch die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nicht nur von der Staatsanwaltschaft, sondern auch von je einem Angeklagten ergriffen wurden. Aus Art. 343 nStGB ergibt sich, dass mehrere Personen, die in ein und derselbe Angelegenheit verwickelt sind, grundsätzlich gleichzeitig gerichtlich beurteilt werden müssen. Der Prozess gegen die Beteiligten bildet ein Ganzes. Der Einwand des Beschwerdeführers, dass nur die Untersuchungsbehörden Rechtsmittel gegen das zweitinstanzliche Urteil ergriffen hätten, schlägt deshalb fehl. Zwischen Erlass der Urteile des Bezirks-, Ober-, Kassations- und Bundesgerichts sind nie mehr als zwei Jahre vergangen. In Anbetracht dieser Tatsache und des umfangreichen Dossiers ist keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes betreffend die Verfahrensdauer nach dem obergerichtlichen Urteil (2 Jahre und 5 Monate) ersichtlich. Für die Verfahrensdauer insgesamt ist zu beachten, dass das Urteil des Bezirksgerichts rund 4 Jahre nach Verhaftung des Beschwerdeführers ergangen ist. Auch in dieser Verfahrensdauer ist keine krasse Lücke ersichtlich. Mit Rücksicht auf die zu bewältigende Arbeit ist die Gesamtdauer des Verfahrens nicht zu beanstanden. Somit liegt keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vor, die eine Herabsetzung der Strafe erfordern würde (E. 3.4).

Vgl. zum Grundsatz der Verfahrenseinheit den ebenfalls heute erschienenen Online-Kommentar zu Art. 29 StPO/CH bei LABEO.