Betrug oder Veruntreuung?
In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid (6S.404/2006 vom 16.02.2007) äussert sich das Bundesgericht ausführlich zum Verhältnis zwischen Betrug (Art. 146 StGB) und Veruntreuung (Art. 138 StGB). Es wirft der Vorinstanz vor, einen nicht nachgewiesenen Betrugsvorwurf kurzerhand unter dem Tatbestand der Veruntreuung zu sanktionieren, was in der Praxis allzu oft vorkommt bzw. vorkam:
Die Vorinstanz geht davon aus, soweit aus prozessualen Gründen eine Verurteilung wegen Betruges ausscheide, gelange der Tatbestand der Veruntreuung zur Anwendung. Es könne nicht die Meinung des Gesetzgebers gewesen sein, denjenigen straflos zu lassen, der sich das Vertrauen erschlichen habe und der sich über seine wahren Absichten hinsichtlich der Verwendung der anvertrauten Sache oder des Vermögenswertes bereits bei Übergabe bzw. beim Vertragsschluss im Klaren gewesen sei (…). Dies setzt indes voraus, dass die durch Täuschung erlangten Vermögenswerte im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 anvertraut sind (E. 7).
Im Grunde nimmt die Vorinstanz hier nur deshalb Veruntreuung an, weil der Beschwerdeführer und die übrigen Tatbeteiligten die Gelder, die ihnen aufgrund der nicht arglistigen Täuschungen überwiesen worden waren, für eine Gegenleistung entgegenahmen, die gar nicht erbracht werden konnte (E. 7.2).
Die Veruntreuung scheitert im vorliegenden Fall am Tatbestandselement des Anvertrautseins bzw. der Werterhaltungspflicht nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 3. Dazu fasst das Bundesgericht Lehre und Rechtsprechung wie folgt zusammen:
Die Werterhaltungspflicht, d.h. das Anvertrauen eines Vermögenswerts im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, kann auf ausdrücklicher oder stillschweigender Abmachung beruhen (BGE 120 IV 117 E. 2b). Massgeblich ist, ob dem Täter die Verfügungsmacht über den Vermögenswert von einem anderen bewusst und freiwillig übertragen wird (Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafrecht, Kurzkommentar, Art. 138 N 8). Nach der Rechtsprechung genügt für die Werterhaltungspflicht die Begründung eines „faktischen“ oder „tatsächlichen“ Vertrauensverhältnisses (BGE 86 IV 160 E. 4a; 92 IV 174 E. 2; krit. Niggli/Riedo, a.a.O., Art. 138 N 82/94; ferner Stratenwerth/Jenny, a.a.O., § 13 N 50 in Bezug auf gemäss Art. 20 OR nichtige Verträge; ebenso Rehberg/Schmid/Donatsch, Strafrecht III, 8. Aufl. 2003, S. 102; Trechsel, a.a.O., Art. 138 N 7; differenzierend Schubarth, a.a.O., Art. 140 N 8). In der Lehre wird demgegenüber für das Anvertrautsein von Vermögenswerten verschiedentlich verlangt, dass die Begründung der Verfügungsmacht des Täters, d.h. das Grundgeschäft zwischen Treugeber und Treuhänder rechtlichgültig zustande kommt. Dem Täter soll nicht bloss tatsächliche Verfügungsmacht, sondern Verfügungsberechtigung eingeräumt werden. Nachdieser Auffassung genügt es namentlich nicht, wenn die Verfügungsmacht durch Täuschung erlangt wird (Niggli/Riedo, a.a.O., Art. 138 N 86 f./94; vgl. auch Jenny, a.a.O., S. 406 f. FN 30; anders Felix Bommer, Grenzen des strafrechtlichen Vermögensschutzes bei rechts- und sittenwidrigen Geschäften, Diss. Bern 1996, S. 240; ders., Zum Verhältnis von Betrug und Veruntreuung, Urteilsanmerkung, ZBJV 141/2005, S. 125 ff.; Jürg-Beat Ackermann, Wirtschaftsstrafrecht 2003-2005, Aktuelle Rechtsprechung, in: Aktuelle Anwaltspraxis, Bern 2005, S. 661). In diesem Sinne hat das Bundesgericht in einem früheren Entscheid erkannt, ein Vermögenswert sei nicht anvertraut, wenn zur Erlangung der Verfügungsmöglichkeit eine Täuschung oder ein Gewahrsamsbruch notwendig war (BGE 111 IV 130 E. 1a). Bezieht sich die Täuschung indes gerade darauf, dass der Getäuschte dem Täter die Verfügungsmacht einräumt, ist die Sache bzw. der Vermögenswert nach der Rechtsprechung anvertraut (BGE 117 IV 429 E. 3c, S. 436) (E. 6.2).
Im konkreten Fall war eine Werterhaltungspflicht zu verneinen:
Für die Beschaffung der Garantie hatte der Auftraggeber einen Betrag von DM 200’000.– zu hinterlegen, welche treuhänderisch durch die Treuhandgesellschaft des Beschwerdeführers verwaltet wurde (…). Nach dieser vertraglichen Regelung stellten die von den geschädigten Kunden übertragenen Vermögenswerte reine Vermittlungsgebühren, d.h. Gegenleistungen für die versprochene vertragliche Leistung dar (…). Es handelte es sich namentlich nicht um eine Einlage, die in fremdem Interesse in einer bestimmten Weise hätte investiert werden müssen. Die Gelder waren demnach nicht dazu bestimmt, später wieder – allenfalls mit einer bestimmten Rendite – an die Geschädigten zurückzufliessen. Diese waren mithin keine Investoren, sondern Kunden, die gegen eine Vermittlungsgebühr ein Bankpapier erwerben wollten. Im Übrigen wäre die Annahme einer Werterhaltungspflicht selbst dann fraglich, wenn die Vermögenswerte als Anlage in ein bestimmtes Projekt geflossen wären, da solche Investitionen in der Regel mit Risiken verbunden sind, die im Extremfall zu einem Totalverlust der angelegten Beträge führen können. Wie es sich damit im Einzelnen verhält, kann hier indes offen bleiben, da der Beschwerdeführer vertraglich jedenfalls nicht verpflichtet war, die ihm übertragenen Gelder in ein bestimmtes Projekt zu investieren. Er hat die Gelder als Gebühren, mithin als Gegenleistung für die von ihm bzw. den Mitbeteiligten vorgetäuschten Bemühungen für sich selbst bzw. für die Mitbeteiligten eingenommen (BGE 118 IV 239 E. 2b S. 241; vgl. auch Niggli/Riedo, a.a.O., Art. 138 N 45). Aus gegenseitigen Zuwendungen aus synallagmatischen Verträgen entstehen denn auch nur Ansprüche auf Gegenleistungen, nicht aber auf Werterhaltung (Rehberg, a.a.O., S. 367). Die von den Kunden überwiesenen Vermögenswerte waren daher nicht anvertraut (E 7.2).