Beweisausforschung als Regel
Seit die Menschen Smartphones mit sich herumtragen und damit freiwillig oder unfreiwillig kommunizieren, produzieren sie rund um die Uhr Beweismittel, die auch gegen sie verwendet werden können. Ein Staatsanwalt, der etwas über einen Menschen erfahren will, wird daher interessiert sein, das Smartphone des Verdächtigen zu durchsuchen. Was ihn daran hindert, sind vielleicht die Kosten. Was ihn sicher nicht hindert, ist die Justiz, die es sich immer einfacher macht (vgl. dazu bspw. BGer 1B_364/2018 vom 23.10.2018).
Dem Beschuldigten werden schwere Vermögensdelikte vorgeworfen. Bei seiner Einreise in die Schweiz wurden drei iPhones und ein iMac sichergestellt. Die Siegelung wird nun gemäss Bundesgericht aufgehoben, denn:
Werden bei einem Geschäftsmann wie dem Beschwerdeführer bei seiner Einreise in die Schweiz drei Mobiltelefone und ein Computer sichergestellt, so liegt es nahe, dass er diese Geräte jedenfalls auch für geschäftliche Zwecke nutzte. Da sich die strafrechtlichen Vorwürfe auf seine Geschäftstätigkeit beziehen, ist das Zwangsmassnahmengericht zu Recht davon ausgegangen, dass die gesiegelten Geräte potenziell Daten enthalten, die für das Strafverfahren von Bedeutung sind. Der Deliktskonnex ist ohne weiteres gegeben (E. 2.3)..
Die Tatvorwürfe gegen den Beschwerdeführer wiegen schwer, es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an der Wahrheitsfindung, gegen welches das entgegenstehende Interesse des Beschwerdeführers an der Wahrung seiner Privatsphäre zurückzutreten hat (E. 2.4).
Das Zwangsmassnahmengericht hat dazu zu Recht ausgeführt (E. 6 S. 6 ff.), es sei Sache des Beschwerdeführers, konkret darzulegen, an welchen gesiegelten Daten welche überwiegenden Geheimhaltungsinteressen bestehen sollen. Er habe dies unterlassen und sich auf die pauschale Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen beschränkt, weshalb der unsubstantiierte Einwand der Entsiegelung nicht entgegenstehe (E. 2.5).
Denksportaufgabe: Ist überhaupt noch ein Fall denkbar, in dem es bei der Beschlagnahme eines iPhones am Deliktskonnex fehlen könnte?
(Zitat:) „Das Zwangsmassnahmengericht hat dazu zu Recht ausgeführt (E. 6 S. 6 ff.), es sei Sache des Beschwerdeführers, konkret darzulegen, an welchen gesiegelten Daten welche überwiegenden Geheimhaltungsinteressen bestehen sollen. Er habe dies unterlassen und sich auf die pauschale Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen beschränkt, weshalb der unsubstantiierte Einwand der Entsiegelung nicht entgegenstehe.“
(Hervorhebungen durch den Verfasser.)
Wenn der Beschuldigte das Geheimhaltungsinteresse nur dadurch „darlegen“ kann, dass er die Geheimhaltung, an der er seiner Auffassung nach im konkreten Fall ein rechtlich geschütztes, das Strafverfolgungsinteresse überwiegendes Interesse innehat, zumindest teilweise preisgibt, mithin der Entscheid des Gerichts ihn faktisch dazu verpflichtet, im Zuge der von ihm geforderten Darlegung gerade das zu offenbaren, was er geheim halten möchte, dann besteht hier nach meiner Auffassung eine veritable Zwickmühle, ein unlösbarer innerer Widerspruch. Das Zwangsmassnahmengericht und mit ihm das Bundesgericht scheinen mir hier begrifflich Unmögliches zu fordern.
Überhaupt: Was heisst im gegebenen Sachzusammenhang „konkret darlegen“? Reicht substantiiert behaupten aus, worauf aus der oben zitierten Formulierung („unsubstantiierter Einwand“) e contrario geschlossen werden könnte, oder muss das Geheimhaltungsinteresse vom Beschuldigten sogar, wobei der Übergang allerdings notwendigerweise unscharf ist, glaubhaft gemacht werden, was die Gerichtsentscheide aber nicht zu fordern scheinen?
Ein strikter Beweis des überwiegenden Geheimhaltungsinteresses scheint mir an sich dem Beschuldigten überhaupt nicht mehr möglich zu sein, ohne dass dieser die Geheimhaltung gänzlich oder zumindest grösstenteils preisgibt, und somit zum Vorneherein nicht gefordert werden zu können, mithin, natürlich auch mit Seitenblick auf den Grundsatz in dubio pro reo (als Beweislastregel), gänzlich ausser Diskussion zu stehen; dies nur der Vollständigkeit halber.
Dass die Darlegung von Geheimhaltungsinteressen durch den Beschuldigten mehr oder weniger „unsusbstantiiert“ oder „pauschal“ zu erfolgen hat, scheint mir bereits dem Begriff der Geheimhaltung immanent und somit völlig unabhängig davon zu sein, ob der Beschuldigte nach der Beschlagnahme seiner Geräte überhaupt noch die praktische Möglichkeit hat, den Bestand oder gar den vollständigen Inhalt der sichergestellten Daten sich im Einzelnen zu vergegenwärtigen.
Dies gilt natürlich umso mehr dann, wenn der Beschuldigte, was die Regel sein dürfte, im konkreten Fall keine aktuellen Kopien oder Backups der zur Diskussion stehenden Datensätze in seinem Besitz hat und sich somit in vorübergehender Ermangelung des Zugangs zu den beschlagnahmten Geräten bis auf Weiteres auch nicht mehr imstande sieht, sich einen vollständigen Überblick über deren aktuellen Bestand geschweige denn einen Einblick in deren vollständigen Inhalt in allen Einzelheiten zu verschaffen.
Die Notwendigkeit einer mehr oder weniger pauschalen oder im Einzelfall womöglich zu wenig substantiierten Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen oder, umgekehrt formuliert, die Unmöglichkeit von deren substantiierter Behauptung, scheint mir jedenfalls in der Natur der Geheimhaltung zu liegen.
Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.
Zum überwiegenden öffentlichen Interesse (konkret: Interesse an der Strafverfolgung), mit dem man letztendlich schlechthin alles rechtfertigen kann: Vor einiger Zeit konnte man einen emeritierten Strafrechtsprofessor in einem Fernsehinterview in mir nicht mehr erinnerlichem konkretem Zusammenhang wörtlich (im Original auf schweizerdeutsch) sagen hören:
„Es lässt sich nicht wegleugnen: Die Macht bestimmt das Recht.“
Damit ist wirklich auch schon alles Wesentliche gesagt und der Anwalt auch im sogenannten demokratischen Rechtsstaat (liegt im Begriff des „demokratischen Rechtsstaats“ nicht auch schon ein Widerspruch in sich, oder zumindest eine Relativierung des Rechtsbegriffs, wenn eine solche vorliegend auch durch das hohe Gut der Demokratie erfolgt und somit zu tolerieren zu sein scheint?) systemisch in jedem Fall am Ende auf seine bedauernswert erscheinen mögende Rolle als Erfüllungsgehilfe der jeweils herrschenden Macht verwiesen. Was oder wer – im Allgemeinen oder im Konkreten – „die Macht“ ist und/oder wer sie seiner Auffassung nach innehat, hat der Genannte im Interview allerdings nicht ausgeführt. Vielleicht sind sowohl die Frage als auch jede denkbare Antwort darauf ganz einfach zu abstrakt, um noch irgendeinen tangiblen Erkenntniswert zu besitzen.
Da hilft nur eins: Verschlüsseln, Verschlüsseln, Verschlüsseln