Beweisverwertung im Haftprüfungsverfahren
Ein Untersuchungshäftling wehrte sich erfolglos gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft, indem er den allgemeinen Haftgrund des hinreichenden Tatverdachts bestritt und sich dabei auf Beweisverwertungsverbote berief. Er war irrtümlich davon ausgegangen, mit einem 13-jährigen Mädchen in einem Chatroom ein Treffen vereinbart und mit ihm auch kurz telefonisch gesprochen zu haben. In Wirklichkeit chattete er mit einem verdeckten Ermittler und telefoniert mit einer Mitarbeiterin des verdeckten Ermittlers, die selber mangels richterlicher Genehmigung nicht verdeckt arbeiten durfte.
Das Bundesgericht (BGer 1B_263/2010 vom 31.08.2010) erklärt, wieso sich die Frage der Beweisverwertung im Haftprüfungsverfahren im vorliegenden Fall nicht stellt:
Dass der Beitrag der juristischen Mitarbeiterin als verdeckte Ermittlung im Sinne des BVE einzustufen ist, welche vorgängig gerichtlich zu genehmigen gewesen wäre, scheint zwar nicht ausgeschlossen. Es ist aber zu bedenken, dass ihr Beitrag an der Ermittlung im Vergleich zu demjenigen des rapportierenden Polizisten von untergeordneter Bedeutung war. Es ist im Gegensatz zur Ansicht des Beschwerdeführers prima facie davon auszugehen, dass es auch ohne den (kurzen) Telefonanruf zum vereinbarten Treffen und damit zur Identifikation des Chatpartners gekommen wäre. Auch ist nicht auszuschliessen, dass der Chatpartner auf andere Weise als durch die Vereinbarung eines Treffens und ohne den getätigten Telefonanruf hätte identifiziert und festgenommen werden können.
Sofern der Beitrag der juristischen Mitarbeiterin somit überhaupt als unrechtmässige verdeckte Ermittlung im Sinne des BVE einzustufen ist, ist in Anbetracht der gesetzlichen Regelung und der dargestellten bundesgerichtlichen Rechtsprechung keineswegs klar, ob die durch die verdeckte Ermittlung gewonnenen Erkenntnisse und die im Anschluss daran anlässlich von Befragungen und Hausdurchsuchungen erhobenen Folgebeweise im Strafverfahren nicht verwertet werden dürfen. Dies zu entscheiden ist Sache des Strafgerichts, dessen Entscheid im Haftprüfungsverfahren nicht vorzugreifen ist. Es reicht aus, dass die Verwertbarkeit der Beweismittel, welche den Tatverdacht begründen, wie vorliegend prima facie keineswegs ausgeschlossen ist. Die gewonnenen Erkenntnisse dürfen im vorliegenden Haftprüfungsverfahren daher grundsätzlich berücksichtigt werden. Anders verhielte es sich nur, wenn schon jetzt – bei einer Würdigung prima facie – klar wäre, dass die genannten Beweise einem Verwertungsverbot unterliegen (E. 3.5. Hervorhebungen durch mich).
Prima facie unverwertbar wird nach der schweizerischen Rechtsprechung kaum je ein Beweis sein können (vgl. einen früheren Beitrag). Das Bundesgericht (I. öffentlich-rechtliche Abteilung) betont in seinem Entscheid denn auch, dass die bisherige Rechtsprechung (der strafrechtlichen Abteilung) zwei Fragen noch nicht entschieden habe:
Nicht auseinandergesetzt hat sich das Bundesgericht in seinem Urteil BGE 134 IV 266 mit der Frage, ob Erkenntnisse, welche durch eine nicht genehmigte verdeckte Ermittlung gewonnen worden sind, auch dann in keinem Fall verwertet werden dürfen, wenn sie auch auf andere, legale Weise hätten beschafft werden können (vgl. dazu BGE 133 IV 329 E. 4.4 S. 331; 130 I 126E. 3.2 S. 132; je mit Hinweisen). Das Gleiche gilt für die Verwertbarkeit von Folgebeweisen, welche im Anschluss an die rechtswidrige Beschaffung eines primären Beweismittels an sich legal erhoben werden, wenn sie auch ohne das unverwertbare primäre Beweismittel hätten erlangt werden können (vgl. BGE 133 IV 329 E. 4.5 S. 332 f. mit Hinweisen) (E. 3.4).
Ich benütze die Gelegenheit, auf die noch nicht in Kraft gesetzten Regeln der Schweizerischen Strafprozessordnung hinzuweisen:
Art. 141 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise1 Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.2 Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.3 Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.4 Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre.5 Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.
Keine besonderen Beweisverwertungsregeln bestehen für die verdeckte Ermittlung. Die Grundvoraussetzung der verdeckten Ermittlung ist nach StPO/CH eine bereits begangene Straftat:
Art. 286 Voraussetzungen
1 Die Staatsanwaltschaft kann eine verdeckte Ermittlung anordnen, wenn:
a. der Verdacht besteht, eine in Absatz 2 genannte Straftat sei begangen worden;
Dass noch immer Polizisten Steuergelder verbraten indem sie sich in Chats als minderjähriges Mädchen ausgeben wundert nicht eigentlich. (Kenner stellten fest, dass sich in in besagtem Chat vor dessen Schliessung praktisch keine echten Mädchen mehr befanden…)
Immerhin hat das bernische OG eine diesbezügliche erstinstanzliche Verurteilung aufgehoben, weil es in der besagten Konstellation nicht einmal ein potentielles Opfer geben kann, weil ja alles von der Polizei getürkt wurde.
Dass sich angesichts solcher Überlegungen die Behörden neue Tatbestände ausdenken verwundert daher auch nicht weiter. Das sog. Grooming, d.h. das Chatten Erwachsener mit Minderjährigen soll neu mit drastischer Strafandrohung bewehrt werden und es braucht keinen Zukunftsforscher um vorherzusehen dass es nicht mehr lange dauern wird bis man erwachsenen Männern das Betreten von Schwimmbädern verboten wird, denn es wird schon jetzt polizeilich festgehalten, wenn Mann Mädchen im Bikini fotografiert.