Beweiswürdigung bei “Aussage gegen Aussage”-Konstellationen

Bereits zum zweiten Mal kassiert das Bundesgericht ein Urteil des Obergerichts ZH in derselben Angelegenheit (BGer 6B_1213/2018 vom 20.05.2019). Erneut ging es um die Beweiswürdigung in einer klassischen “Aussage gegen Aussage”-Konstellation (Vergewaltigung) und erneut qualifiziert das Bundesgericht die vorinstanzliche Beweiswürdigung im Ergebnis als willkürlich.

Entscheidend war das karge Aussageverhalten der Privatklägerin zum angeblichen Kerngeschehen:

Nach den für das Bundesgericht verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen hat die Privatklägerin auch anlässlich der zweiten Berufungsverhandlung selbst mit keinem Wort eine sexuell motivierte Handlung des Beschwerdeführers geschildert. Vielmehr seien deren Aussagen zum Kerngeschehen geradezu karg gewesen, soweit sie sich überhaupt habe erinnern können. Damit bestätigt die Vorinstanz die vom Bundesgericht im Rückweisungsurteil bemängelte Qualität der Aussagen der Privatklägerin. Indem die Vorinstanz trotz fehlender respektive oberflächlicher Aussagen der Privatklägerin zum Kerngeschehen den Anklagesachverhalt als erstellt erachtet und zu einem Schuldspruch gelangt, setzt sie sich in Widerspruch zu ihrer eigenen Aussagewürdigung. Die Privatklägerin hat die dem Beschwerdeführer gemachten Vorwürfe nicht frei geschildert. Die Beweiskraft deren Aussagen hat sich gegenüber dem Rückweisungsurteil nicht verändert. Unklar bleibt, was die Vorinstanz für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Privatklägerin aus der Feststellung ableiten will, es sei normal, dass diese nach rund sieben Jahren in der zweiten Berufungsverhandlung keine detaillierten Aussagen mehr zu den Vorfällen machen konnte. Dies konnte die Privatklägerin auch in den vorherigen polizeilichen und staatsanwaltlichen Einvernahmen nicht, was bereits zur ersten Rückweisung führte (vgl. 6B_702015 vom 20. April 2016 E. 1.4.2). Die persönliche Befragung diente in erster Linie dazu, überhaupt eine eigenständige Schilderung der Ereignisse durch die Privatklägerin zu erhalten, die eine Verurteilung des Beschwerdeführers trägt. Dies war nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht der Fall (E. 3.1, Hervorhebungen durch mich). 

Wichtig erscheinen mir folgende Erwägungen des Bundesgerichts. die hoffentlich den pseudowissenschaftlichen Methoden vieler kantonaler Gerichte bei der Würdigung von Aussagen ein Ende setzen:

Die von der Vorinstanz in Aussagen der Privatklägerin zu “Nebensächlichkeiten” erkannten Realkennzeichen können die fehlende eigenständige Schilderung des inkriminierten Kerngeschehens nicht ersetzen oder kompensieren. Das Rahmengeschehen ist im Gegensatz zu den angeklagten Tatvorwürfen gerade nicht strafbar und kann nicht Grundlage eines möglichen Schuldspruchs sein. Die Vorinstanz begeht zudem einen Zirkelschluss, indem sie die Glaubhaftigkeit der Schilderungen zum Rahmengeschehen damit begründet, diese liessen sich gut in das nicht geschilderte und erst noch zu erstellende Kerngeschehen einbetten. Sie scheint insoweit zu verkennen, dass der Anklagesachverhalt nur eine Behauptung der Strafverfolgungsbehörde darstellt, die es aufgrund der vorhandenen Beweismittel zu erstellen gilt (vgl. Urteile 6B_1032/2017 vom 1. Juni 2018 E. 1.2; 6B_453/2017 vom 16. März 2018 E. 2.2, nicht publ. in BGE 144 IV 172). Dass die Privatklägerin in Bezug auf Nebensächlichkeiten erlebnisgetreu ausgesagt hat, ist kein Nachweis für die Tatvorwürfe. Dies umso weniger, als auch der Beschwerdeführer das Rahmengeschehen konstant und übereinstimmend mit der Privatklägerin schildert, jedoch die Tatvorwürfe bestreitet. Auch dass die Privatklägerin klar gestellt hat, der ursprünglich angezeigte “Vergewaltigungsversuch”, der das gesamte Strafverfahren in Gang gesetzt hat, habe nicht stattgefunden, sondern beruhe auf einem Missverständnis mit ihrer Rechtsbeiständin, hat keine Aussagekraft in Bezug auf den Anklagesachverhalt und ändert nichts an den oberflächlichen Einlassungen der Privatklägerin zum Kerngeschehen. Der Vorfall ist nicht angeklagt und beschlägt insofern nur die Glaubwürdigkeit der Privatklägerin (E. 3.2, Hervorhebungen durch mich).