Blocher und das Völkerrecht

In seinen Reden zum 1. August 2007 (hier, hier, hier, hier und hier) hat Bundesrat Blocher kritisiert, dass das Völkerrecht dem Volksrecht übergeordnet sei. In seiner Rede vom 31.07.2007 in Schwarzenburg drückte er es so aus.

Bei internationalen Abmachungen werden Volksrechte abgetreten und so dem Volke die Entscheide entzogen. Es sei – so heisst es dann beschönigend – eben „übergeordnetes Recht“. Als wäre es direkt von Gott erlassen! Auf jeden Fall ist es „dem vom Volk gesetzten Recht übergeordnet“. Das ist aber so ziemlich genau das Gegenteil, von dem, was der Bundesbrief wollte. Man nennt es auch internationales Recht oder noch schöner „Völkerrecht“, als hätten es alle Völker demokratisch gesetzt.

In der NZZ am Sonntag hält Heinrich Koller, langjähriger Direktor des Bundesamts für Justiz, zuletzt auch unter Blocher, v.a. mit einer Gegenfrage überzeugend dagegen:

Wie wollen Sie die Macht der Behörden beschränken und Demokratie haben, wenn Sie auf der anderen Seite nicht die Bindung an das Recht, das Prinzip der Gewaltenteilung oder das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit garantieren? (NZZ am Sonntag vom 13.08.2007, 8; kostenpflichtig)

Und was sagt die Bundesverfassung?

  • Art. 7 Abs. 4: Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
  • Art. 139 Abs. 2: Verletzt die Initiative die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so erklärt die Bundesversammlung sie für ganz oder teilweise ungültig.
  • Art. 149 Abs. 1 lit. b:Obligarotisches Staatsvertragsreferendum (Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften)
  • Art. 141 Abs. 1 lit. d: Neues fakultatives Staatsvertragsreferendum
  • Art. 147: Die Kantone, die politischen Parteien und die interessierten Kreise werden bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse und anderer Vorhaben von grosser Tragweite sowie bei wichtigen völkerrechtlichen Verträgen zur Stellungnahme eingeladen.
  • Art. 166 Abs. 2: [Die Bundesversammlung] genehmigt die völkerrechtlichen Verträge; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss auf Grund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist.
  • Art. 189 Abs. 1 lit. b: [Das Bundesgericht beurteilt Streitigkeiten wegen Verletzung] von Völkerrecht
  • Art. 190: Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.
  • Art. 193 Abs. 4: [Totalrevision der Bundesverfassung]: Die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts dürfen nicht verletzt werden.
  • Art. 194 Abs. 2: [Teilrevision der Bundesverfassung]: Die Teilrevision muss die Einheit der Materie wahren und darf die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts nicht verletzen.

Zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht s. auch Art. 27 Wiener Vertragsrechtsübereinkommen und die Theorien von Monismus und Dualismus (s. etwa die abgeschriebene Motion Baumann 1998 oder die erledigte Interpellation Schmid 1996).

Die Schweiz folgt im Gegensatz etwa zu den meisten EU-Mitgliedstaaten dem Monismus, den sie sich allerdings selbst auferlegt hat. Ob daran festgehalten werden soll, wird am Ende das einzige Thema der von Blocher angeschobenen Diskussion bilden können. Ich gehe davon aus, dass Blocher den Vorrang des zwingenden Völkerrechts jedenfalls nicht in Frage stellt.