Brian: Isolationshaft oder abgeschirmter Vollzug?
Und wieder heisst das Bundesgericht eine Beschwerde von “Brian” gut (BGer 1B_574/2021 vom 02.12.2021, Fünferbesetzung mit Medienmitteilung). Diesmal geht es um das Haftregime, welches die Vorinstanz aus Sicht des Bundesgerichts einmal mehr nicht objektiv gewürdigt hat:
Der hier angefochtene Haftverlängerungsentscheid des Obergerichts vom 17. September 2021 enthält eine gut 20-seitige Begründung. Das Obergericht hat sich damit im Vergleich zu seinem ersten Urteil über die Fortsetzung der Haft vom 16. Juni 2021 deutlich ausführlicher mit der Begründung seines Entscheids befasst und ist insofern der Aufforderung des Bundesgerichts zur Beachtung des Gehörsanspruchs des Beschwerdeführers nachgekommen. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um die formelle Seite der Begründungspflicht. Inhaltlich ergibt sich, dass die Begründung des Urteils erneut einseitig ausgefallen ist. Das Obergericht stützt sein Urteil im Wesentlichen auf die behördlichen Berichte, namentlich auf die Stellungnahme des Amtes für Justizvollzug und Wiedereingliederung, und spricht den vom Beschwerdeführer vorgelegten Privatgutachten entweder die Glaubwürdigkeit ganz ab oder geht davon aus, sie beruhten auf unzutreffenden sachlichen Annahmen. Wie das Bundesgericht nun schon wiederholt festgehalten hat, sind auch Privatgutachten bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Dabei ist das Gericht im Wesentlichen verpflichtet, zu prüfen, ob das Privatgutachten die Schlussfolgerungen eines behördlich bestellten Gutachters derart zu erschüttern vermag, dass davon abzuweichen ist (vgl. die Hafturteile 1B_326/2021 vom 5. Juli 2021 E. 4.3.2 und 1B_398/2021 vom 4. August 2021 E. 3.2 sowie neu das Strafurteil 6B_882/2021 und 6B_965/2021 vom 12. November 2021 E. 4.6). Es geht nicht an, einseitig auf Behördenberichte abzustellen und den Privatgutachten praktisch pauschal die Glaubwürdigkeit bzw. Relevanz abzusprechen. Zwar trifft es gemäss den hier massgeblichen Behördenberichten offenbar zu, dass sich der Beschwerdeführer nicht in vollständiger Abschottung gegen aussen befindet. So kann er regelmässig Besuche empfangen und Telefongespräche führen. Es ist aber nicht widerlegt, dass er innerhalb des Vollzugs isoliert ist und keine sozialen Kontakte pflegen und kaum sinnvollen Beschäftigungen nachgehen kann. Auch wenn es sich dabei nicht um eine eigentliche Isolationshaft handelt, liegt anstaltsintern dennoch ein weitgehend abgeschirmter Vollzug mit sehr beschränkten Möglichkeiten einer sinnvollen Gestaltung des Tagesablaufs vor. Das steht im Widerspruch zu den Anforderungen an einen menschenrechtskonformen Haftvollzug, der auch bei Hochsicherheitshaft soziale Kontakte nach aussen wie auch im Innern der Anstalt sowie eine sinnvolle Gestaltung des Tagesablaufs mit geeigneten Beschäftigungsmöglichkeiten erfordert (vgl. JÖRG KÜNZLI, Untersuchungshaft: Menschenrechtliche Standards und ihre Umsetzung in der Schweiz, in: Mona/Riklin [Hrsg.], Rechtswidrige Zustände? Untersuchungshaft in der Kritik, 2017, S. 18 f.; NATIONALE KOMMISSION ZUR VERHÜTUNG VON FOLTER [NKVF], Schwerpunkt 2013: Die Menschenrechtskonformität der Hochsicherheitshaft in der Schweiz, Tätigkeitsbericht NKVF 2013, S. 47 ff.). Wenn das Obergericht nunmehr feststellt, der Beschwerdeführer sei angesichts der ihm ermöglichten Aussenkontakte gegenüber anderen Häftlingen im Hochsicherheitsbereich sogar privilegiert, beschlägt dies nur einen Teilaspekt der Haftbedingungen; im Übrigen setzt sich das Obergericht in Widerspruch zum Verwaltungsgericht des gleichen Kantons im Rahmen des damaligen Verlegungsverfahrens sowie zu den bundesgerichtlichen Erwägungen in den bisher ergangenen Haftentscheiden. Das Bundesgericht stellte nämlich schon am 24. März 2021 zusammengefasst fest, der Beschwerdeführer befinde sich schon seit fast zweieinhalb Jahren in gesicherter Einzelhaft, die selbst vom Verwaltungsgericht des Kantons Zürich als “fraglos äusserst restriktiv” und “durchaus mit dauerndem Arrest” vergleichbar bezeichnet werde. Inzwischen sind weitere acht Monate vergangen, womit das von allen Seiten anerkanntermassen auf den Beschwerdeführer zugeschnittene und weiterhin einschneidende Haftregime insgesamt bereits mehr als drei Jahre andauert. Angesichts dieser Ausgangslage ist nicht davon auszugehen, dass er im Vergleich mit anderen Häftlingen bevorzugt wird. Überdies erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die physische und vor allem mentale Gesundheit des Beschwerdeführers unter dem Haftregime leiden könnte, weshalb nicht nachvollziehbar ist, dass das Obergericht insofern keine Probleme zu erkennen vermag (E. 5.3).