Bundesgericht erschwert Kriminalitätsbekämpfung

Dies jedenfalls behauptet der Leitende Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich in einem lesenswerten Beitrag der NZZ vom 25.03.2010 (nicht auf NZZonline). Anlass für die Kritik gaben die jüngst ergangenen Entscheidungen zur verdeckten Ermittlung (vgl. meinen früheren Beitrag).

Wie immer, wenn das Bundesgericht unliebsame Entscheidungen trifft, folgt der Ruf nach Änderung der Gesetze, zumal die Verfassung in der Schweiz nicht wirklich interessieren muss. Entsprechende Vorstösse lagen bereits vor den Urteilen aus Lausanne vor. Die Motion 08.458 verlangt die Änderung der noch nicht in Kraft getretenen Schweizerischen Strafprozessordnung. Der eingereichte Text lautet:

Die Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 sei folgendermassen zu ergänzen:

Art. 285a Zweck (nach dem Titel “Verdeckte Ermittlung”)

Verdeckte Ermittlung nach diesem Gesetz hat zum Zweck, mit Angehörigen der Polizei oder zu diesem Zweck beigezogenen anderen Personen, die nicht als polizeiliche Funktionäre erkennbar sind (Ermittlerin oder Ermittler), aktiv, mit erheblicher Täuschungs-, Handlungs- und Eingriffsintensität und auf eine gewisse Dauer angelegt, in das kriminelle Umfeld einzudringen und damit beizutragen, besonders schwere Straftaten aufzuklären. Nicht unter die Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung fallen namentlich:

– die einfache Lüge, das Auftreten in milieuangepasster Erscheinung sowie die blosse Verheimlichung der Identität;

– einfache Scheinkäufe.

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Änderung von Artikel 286 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) vom 5. Oktober 2007 zu unterbreiten, sodass verdeckte Ermittlungen auch dann möglich sind, wenn der Verdacht besteht, dass eine schwere Straftat gemäss Artikel 286 Absatz 2 bevorstehe.

Die Motion dürfte den Strafverfolgern allerdings noch zu wenig weit gehen, weil die zu bekämpfende Strassenkriminalität damit nicht erfasst wird – es sei denn, auch das seien inzwischen “schwere Straftaten”.

Zum selben Thema gibt es auch noch eine andere Motion, die den Strafverfolgern aber erst recht zu wenig weit gehen dürfte und vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen wurde. Es handelt sich um die Motion 08.3841 mit folgendem Text:

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Änderung von Artikel 286 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) vom 5. Oktober 2007 zu unterbreiten, sodass verdeckte Ermittlungen auch dann möglich sind, wenn der Verdacht besteht, dass eine schwere Straftat gemäss Artikel 286 Absatz 2 bevorstehe.

Die Rechtskommission des Nationalrats lehnt den Vorstoss ebenfalls ab, allerdings mit fragwürdiger Begründung:

Sie weist wie bereits der Bundesrat darauf hin, dass das Anliegen der Motion aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch ist: Bei der von der Motion verlangten Ergänzung der Strafprozessordnung (StPO) handelt es sich nicht um eine strafprozessuale Materie, zu deren Regelung der Bund – gemäss Artikel 123 Absatz 1 der Bundesverfassung – kompetent ist. Massnahmen zur Erkennung oder Verhinderung von Straftaten gehören zu den polizeilichen Aufgaben, welche im Polizeirecht zu regeln sind. Die Kompetenz zu dessen Regelung liegt grundsätzlich bei den Kantonen. Die StPO wäre denn auch nicht der richtige Erlass für die Regelung von Massnahmen im Vorfeld von Straftaten, welche erst begangen werden könnten. Sie soll erst zur Anwendung kommen, wenn der Verdacht auf eine bereits begangene strafbare Handlung besteht. Dabei kann es sich wohlgemerkt auch um eine strafbare Vorbereitungshandlung oder den Versuch einer strafbaren Handlung handeln.

Da darf man gespannt sein, wie die erstgenannte Motion behandelt wird. Katastrophal wäre jedenfalls ein Ergebnis, das den Kantonen erlauben würde, polizeirechtliche verdeckte Ermittlungen ausserhalb von Strafverfahren zu gestatten.