Bundesgericht genehmigt Antennensuchlauf
Das Bundesgericht kassiert und reformiert den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau, das der Staatsanwaltschaft einen beantragten Antennensuchlauf verweigern wollte (BGE 1B_376/2011 vom 03.11.2011; Publikation in der AS vorgesehen).
Das Bundesgericht gesteht der Staatsanwaltschaft zunächst ein Beschwerderecht zu, das ihr nach StPO jedenfalls nicht ausdrücklich zusteht. Es verweist dazu auf Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG (ist m.E. nicht einschlägig) und auf seine Praxis zum Beschwerderecht in Haftsachen (vgl. BGE 137 IV 22 E. 1.2-1.4 S. 23-25; 87 E. 3 S. 89-92; zur amtlichen Publikation bestimmte Urteile 1B_273/2011 vom 31. August 2011 E. 1.2 und 1B_232/2011 vom 12. Juli 2011 E. 1; s. auch Urteile 1B_65/2011 vom 22. Februar 2011 E. 3.3 und 1B_258/2011 vom 24. Mai 2011 E. 1-2; Aemisegger/Forster, a.a.O., Art. 79 N. 51) mit dem dort begründeten öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Strafjustiz, dem die Zwangsmassnahmengerichte offenbar nicht zu genügen vermögen.
In der Sache erkennt das Bundesgericht, dass der Antennensuchlauf keinen schweren Eingriff in die Grundrechte (vgl. dazu Art. 36 Abs. 1 BV) darstelle und zur Aufklärung mehrerer schwerer Delikte diene (E. 6.5). Allgemein umschreibt es die Voraussetzungen wie folgt:
Bei der hier streitigen (nicht ausdrücklich im Gesetz geregelten) Erhebung von Verbindungs-Randdaten per Antennensuchlauf im Rahmen einer Rasterfahndung gegen Unbekannt ist (jedenfalls im Sinne von Art. 269 Abs. 1 lit. a und b sowie Abs. 2 StPO) der dringende Tatverdacht eines Verbrechens zu verlangen. Zudem müssen die Gesuchten bei noch unbekannter Täterschaft grundsätzlich individualisierbar sein. Weiter ist die Subsidiarität der Massnahme (im Sinne einer “ultima ratio” der Untersuchungsanstrengungen, Art. 269 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 273 Abs. 1 StPO) zu verlangen. In der vorliegenden Konstellation ist sodann keine inhaltliche Überwachung von Gesprächen bzw. Nachrichten (SMS) zulässig, sondern bloss die Erhebung und Auswertung der (zunächst anonymisierten) Verbindungs-Randdaten. Zudem muss bei Rasterfahndungen mittels Antennensuchlaufs die angepeilte verdächtige Schnittmenge der abgeglichenen Verkehrs- und Rechnungsdaten voraussichtlich klein sein (E. 6.1).
Das Ergebnis hält das Bundesgericht wie folgt fest:
Dass die Schnittmenge der verdächtigen Mobiltelefon-Verbindungen durch die Untersuchungsbehörde ermittelt werden soll (und nicht durch die Telefonie-Anbieterinnen), lässt die Überwachungsmassnahme ebenfalls nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. Zum einen sprechen Gründe der Praktikabilität und der Wahrung des Untersuchungsgeheimnisses für dieses Vorgehen. Zum anderen erscheint es, wie schon dargelegt, nicht als schwerer Eingriff in die Privatsphäre, wenn anonymisierte Randdaten von nicht persönlich identifizierten Mobiltelefoniekunden erhoben und zur blossen Ermittlung der verdächtigen Schnittmenge abgeglichen (durchgescannt) werden (E. 6.7).
und schliesst,
Die Verweigerung des Antennensuchlaufes durch die Vorinstanz widerspricht im Lichte der vorstehenden Erwägungen dem Sinn und Zweck der Vorschriften von Art. 273 i.V.m. Art. 269 Abs. 1 StPO (E. 6.8).
Ich gebe zu, dass der Entscheid gut begründet ist und überwiegend überzeugt. Er zeigt aber auch, dass man eigentlich jedes Ergebnis begründen kann, das man sich wünscht. Praktische Bedürfnisse und eine gut funktionierende Justiz rechtfertigen offenbar vieles. Dabei dachte ich, eine gut funktionierende Justiz sei eine Justiz, die sich streng an die gesetzlichen Grundlagen hält und diese nicht dauernd strapaziert.
@kj
Ihr Kommentar im letzten Absatz drückt ein Malaise aus, welches leider bei allzu vielen Aktivitäten der heutigen Justiz immer wieder zu beobachten ist.
Allerdings finde ich, dass ausgerechnet im vorliegenden BGE die Begründung und insbesondere die verschwindend kleine Wahrscheinlichkeit, dass unbeteiligte Dritte an drei verschiedenen Orten innerhalb des Tatzeitraums telefoniert haben könnten bewirken, dass die gesetzlichen Grundlagen nicht wirklich strapaziert wurden?
Oder übersehe ich da etwas wichtiges?
Solche Fahndungsmöglichkeiten werden allerdings dazu führen, dass sich Täter immer häufiger Handys und Nummern zulegen, welche auch bei erfolgreicher Feststellung von Nummern und Geräten keine Identifikation der beteiligten Person mehr zulassen.
Nein, Sie übersehen wahrscheinlich nichts. Mich ärgert einfach, wie locker man mit dem Gesetzestext umgeht (Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft) und Zwangsmassnahmen genehmigt, einfach weil sie praktisch sind. Aber es ist schon so, der hier kommentierte Entscheid ist immerhin sorgfältig begründet, Vielleicht mit Ausnahme des erforderlichen dringenden Tatverdachts. Die Vorinstanz hatte die Massnahme abgelehnt, weil sie dazu diente, den Tatverdacht erst zu schaffen. Dieses Argument leuchtet mir ein.
Tatsächlich scheint sich das Bundesgericht nicht darüber im Klaren zu sein, wie hoch die Belastung der kantonalen Gerichte in Bezug auf die Bewilligung von geheimen Überwachungsmassnahmen ist. Wenn die Staatsanwaltschaft nun jede abgelehnte Massnahme mit Beschwerde anfechtet, wird das Bundesgericht seine Rechtsprechung in Bezug auf die Legitimation der Staatsanwaltschaft vielleicht wieder ändern…
“Bei einer Verweigerung der Untersuchungsmassnahme drohe ein schwer wiegender Beweisverlust bzw. die Nichtaufklärung der untersuchten Verbrechen.” Warum hätte die Staatsanwaltschaft nicht eine neue Ueberwachung beantragt? Es geht doch um rückwirkende Daten… ohne Verlust in den letzten 6 Monaten.
Ein neuer Antrag hätte hier nichts gebracht. Man musste ja ermitteln, ob zu den bekannten Tatzeiten an den bekannten Tatorten eine Schnittmenge besteht. Die Schnittmenge hätte den Tatverdacht begründet: Der Benützer des Mobiltelefons xxx war zur Zeit aller Überfälle in der Nähe des jeweiligen Tatorts.