Bundesgericht kassiert Verdachtsstrafe
Eine kantonale Strafverfolgungsbehörde stellte eine Strafverfügung aus (Entziehen von Unmündigen im Sinne von Art. 220 StGB, bedingte Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 30 Franken, Verfahrenskosten). Auf Einsprache hin stellte dieselbe Behörde das Verfahren ein, auferlegte der Beschuldigten die Verfahrenskosten und verweigerte ihr eine Entschädigung (BGer 6B_186/2008 vom 22.08.2008).
Das Bundesgericht kommt zum Schluss, der Kostenentscheid sei als verfassungswidrige Verdachtsstrafe und damit als willkürlich zu qualifizieren (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK):
Mit der rechtskräftigen Einstellung des Strafverfahrens gegen die Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass das ihr vorgeworfene Verhalten – das Beherbergen eines minderjährigen Mädchens, von dem sie wusste, dass es aus einem Erziehungsheim ausgerissen war, während knapp eines Monats, ohne die Polizei, die zuständige Vormundschaftsbehörde oder die Eltern zu benachrichtigen – strafrechtlich nicht relevant ist. Die Staatsanwaltschaft stellt dagegen im angefochtenen Entscheid fest, das Verhöramt sei “sehr grosszügig” gewesen, wenn es von einem strafrechtlichen Grenzfall ausgehe. Da im Zweifel – also bei Vorliegen eines Grenzfalls – Anklage zu erheben ist, kann dies nur so verstanden werden, dass sie damit die (notabene von ihr genehmigte) Einstellung kritisiert und zum Ausdruck bringt, dass sie den strafrechtlichen Vorwurf gegen die Beschwerdeführerin für begründet hält und ihr deswegen wenigstens die Verfahrenskosten überbinden möchte. Eine derart begründete Kostenauflage stellt eine verfassungs- und konventionsrechtlich verpönte Verdachtsstrafe dar. Die Staatsanwaltschaft nennt denn auch keine zivil- oder verwaltungsrechtliche Norm, welche die Beschwerdeführerin verpflichtet hätte, den Aufenthaltsort des Mädchens der Polizei, der zuständigen Vormundschaftsbehörde oder den Eltern zu melden. Die angefochtene Kostenauflage ist daher mit Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK nicht vereinbar. Da sich nach den Ausführungen der Staatsanwaltschaft die Zusprechung einer Parteientschädigung nach den gleichen Kriterien richtet wie die Verlegung der Kosten, erweist sich damit auch die Verweigerung einer solchen als willkürlich.