Bundesgericht macht erneut Ernst
Viele Entscheidungen des Bundesgerichts werden in den Kantonen ganz bewusst nicht umgesetzt. Das hat viele Gründe und sie liegen teilweise auch am Bundesgericht selbst, das immer wieder Nachsicht mit den Vorinstanzen an den Tag legt.
In Haftsachen verlangt das Bundesgericht nun aber seit einiger Zeit (vgl. schon meinen früheren Beitrag), dass die Vorinstanzen alle vorgebrachten Haftgründe beurteilen und setzt dies jetzt auch durch. In einem aktuellen Fall führt dies dazu, dass die vom Bundesgericht verworfene Fluchtgefahr zur direkten Haftentlassung führt, obwohl möglicherweise andere Haftgründe gegeben sein könnten (BGer 1B_323/2023 vom 04.07.2023):
Angesichts des Umstands, dass sowohl die Vorinstanz als auch das Zwangsmassnahmengericht auf eine Prüfung des besonderen Haftgrunds der Kollusionsgefahr verzichtet haben und letzterer zumindest bei summarischer Prüfung als nicht gegeben erscheint, ist vorliegend auf eine Rückweisung der Haftsache zu verzichten und stattdessen die unverzügliche Freilassung des Beschwerdeführers anzuordnen (vgl. Urteil 1B_243/2023 vom 26. Mai 2023 E. 3.3) [E. 4.3].
Leider lässt das Bundesgericht erneut ein paar Hintertürchen offen, um im konkreten Einzelfall dann doch wieder zurückweisen zu können. Das Bundesgericht sieht sich offenbar bis heute nicht als ein Gericht, das fallunabhängig abstrakte Regeln definiert, an die man sich immer zu halten hat. So kann das Recht aber für die Kantone nie kohärent entwickelt und durchgesetzt werden. Wir Anwälte danken es dem Bundesgericht. Unsere Klienten manchmal auch.
… und warum ist das so, dass das Bundesgericht manchmal zurückhaltend ist…?! Was ist das Problem?
Das Bundesgericht ist doch dafür da, durchzugreifen?
PS: Übrigens spannende Interviews mit Ihnen auf Duri Bonins Podcast! Ich lerne daraus sehr viel als Gerichtsschreiber.