Bundesgericht stärkt die (öffentlichen) Ankläger

Das Bundesgericht ist in einem zur BGE-Publikation vorgesehenen Entscheid (6B_89/2007 vom 24.10.2007) auf eine Willkürbeschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich eingetreten und hat damit eine weitere Streitfrage des BGG geklärt, allerdings anders als bei der „herkömmlichen“ Behördenbeschwerde (vgl. dazu meinen früheren Beitrag).

Die erste Klippe, um auf die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft überhaupt eintreten zu können, stellte die Tatsache dar, dass sie am kantonalen Verfahren zumindest direkt nicht beteiligt war (vgl. dazu aber Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG). Das Bundesgericht bejahte die Verfahrensbeteiligung der Oberstaatsanwaltschaft dennoch, und zwar durch ziemlich grosszügige Auslegung des Gesetzestexts:

Sie hat das Rechtsmittelverfahren nicht selbst geführt, sondern die Anklage von einer ihr untergeordneten Behörde vertreten und damit ihre Interessen mittelbar wahrnehmen lassen. Als oberste Anklagebehörde im Kanton behielt sie aber jederzeit die Möglichkeit, über ihre Aufsichts- und Weisungsbefugnisse auf das Rechtsmittelverfahren Einfluss zu nehmen. Sie war somit im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG verfahrensbeteiligt vor Vorinstanz (1.3.2).

Anschliessend konnte sich das Bundesgericht der Streitfrage zuwenden, ob die Staatsanwaltschaft zur Willkürbeschwerde legitimiert bzw. berechtigt sei. Die Rechtslage unter dem alten Verfahrensrecht stellte es wie folgt dar:

Die frühere Verfahrensordnung hatte zur Folge, dass der Staatsanwalt nicht vorbringen konnte, der ergangene Freispruch oder Schuldspruch des kantonalen Gerichts verletze den aus Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK abgeleiteten Grundsatz „in dubio pro reo“, oder beruhe auf einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung oder einer willkürlichen Anwendung des kantonalen Prozessrechts. Die Möglichkeit, den kantonalen Entscheid auf seine Verfassungsmässigkeit hin überprüfen zu lassen, war ihm prozessual verwehrt (E. 1.4.2)

Neu gilt nun aber, dass die öffentlichen Ankläger auch die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen können. Die fehlende Grundrechtsträgerschaft stelle

kein Legitimationsproblem dar. Die Frage, ob dieser eine Verfassungsverletzung (…) geltend machen kann, betrifft vielmehr nur den Geltungsbereich der angerufenen Verfassungsnorm und damit ein materiell-rechtliches Grundrechtsproblem (…). Das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV beispielsweise räumt dem Einzelnen einen Anspruch auf willkürfreies Handeln der Behörden ein (BGE 133 I 185 E. 4.1). Darüber hinaus beansprucht es aber Geltung als objektives Grundprinzip, das die gesamte Staatstätigkeit bindet, wie Grundrechte überhaupt (…). Das Willkürverbot gilt daher für staatliche Organe umfassend als objektives Recht, und zwar nicht nur gegenüber dem einzelnen Bürger, sondern auch im Verhältnis zu anderen Staatsorganen, und es verbietet sowohl die willkürliche Benachteiligung als auch die willkürliche Begünstigung von Privaten (…). Gestützt auf den objektiv-rechtlichen Gehalt von Art. 9 BV oder anderen Grundrechtsnormen kann die Staatsanwaltschaft nunmehr geltend machen, die Vorinstanz habe deren Tragweite zu Gunsten oder zu Ungunsten der privaten Prozesspartei (Angeklagter oder Opfer) verkannt. Eine verfassungsrechtliche Sicht steht dem nicht entgegen (E. 1.4.4).

Diese Ausführungen mögen unter dem Blickwinkel erstaunen, dass das Bundesgerichts den privaten Beschwerdeführern die selbständige Anrufung des Willkürverbots nicht zugesteht (vgl. dazu meinen früheren Beitrag). Anders als der öffentliche Ankläger kann sich der Private nicht direkt auf Art. 9 BV berufen.

Das Bundesgericht fügt dem noch ein weiteres, prozessuales Argument hinzu:

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Gleichstellung der Staatsanwaltschaft mit den übrigen Prozessparteien des Strafprozesses auch in der Sache gerechtfertigt erscheint. Im kontradiktorischen Hauptverfahren kommen die Standpunkte des Anklägers und der Verteidigung voll zur Geltung, was Gewähr für eine umfassende Darstellung des Prozessstoffes bietet (…). Es ist daher nur konsequent und entspricht dem aus Art. 6 EMRK abgeleiteten Grundsatz der Waffengleichheit, wenn die Parteien im Verfahren vor Bundesgericht über die gleichen prozessualen Rechte verfügen. […] Unter der neuen Verfahrensordnung lässt sich das prozessuale Ungleichgewicht nicht mehr aufrecht erhalten. Denn die Beschwerde in Strafsachen ist nicht nur ein Rechtsmittel der Privaten, sondern dient auch dem Staatsanwalt zur Durchsetzung des objektiven Bundesrechts, um den Strafanspruch zu wahren (E. 1.4.5).

Der Eindruck, dass das Bundesgericht das neue Recht grundsätzlich zu Gunsten seiner Entlastung auslegt (vgl. meinen früheren Beitrag), erfährt hier eine Ausnahme, – eine Ausnahme zu Gunsten der Strafverfolger.