Bundesgerichtsentscheid – so what?

Am 10. Dezember 2012 hatte das Bundesgericht eine Haftbeschwerde teilweise gutgeheissen (BGer 1B_705/2012 vom 10.12.2012; s. meinen früheren Beitrag). Es hat die Kollusionsgefahr verneint und angeordnet, die kantonalen Instanzen hätten bei der Prüfung von Wiederholungs- und Ausführungsgefahr ein psychiatrisches Gutachten beizuziehen, sobald es vorliege. Falls dieses noch nicht erstellt werden konnte, dränge es sich angesichts des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO, Art. 31 Abs. 4 BV) auf, dass die kantonalen Behörden beim beauftragten Experten vorab ein Kurzgutachten zur Frage der Rückfalls- bzw. Ausführungsgefahr für schwer wiegende Delikte – oder wenigstens einen mündlichen Zwischenbericht – unverzüglich anfordern. Das haben die kantonalen Behörden nicht besonderes ernst genommen, was einem neuen Urteil des Bundesgerichts in der selben Strafsache zu entnehmen ist (BGer 1B_41/2013 vom 27.02.2013):

Wie sich aus den Akten ergibt, haben weder die Staatsanwaltschaft, noch die Vorinstanz den haftrichterlichen prozessualen Anweisungen des Bundesgerichtes Nachachtung verschafft. Die Untersuchungsbehörde hat weder ein psychiatrisches Kurzgutachten zur Frage der Rückfalls- bzw. Ausführungsgefahr für schwer wiegende Delikte unverzüglich angefordert, noch (wenigstens) eine mündliche Gefährlichkeitseinschätzung des Gutachters. Vielmehr hat sie mit diesen (angesichts der Haftfortdauer sehr dringlichen) Untersuchungsmassnahmen nochmals knapp zwei Monate (bis am 1. Februar 2013) zugewartet und statt dessen am 17. Dezember 2012, vier Tage nach Eingang des bundesgerichtlichen Urteils vom 10. Dezember 2012, einen weiteren Haftverlängerungsantrag (für eine beantragte Dauer von sechs Monaten) gestellt. Dies erscheint umso befremdlicher, als schon das kantonale Zwangsmassnahmengericht in seinem Haftanordnungsentscheid vom 8. Oktober 2012 ausdrücklich darauf hinwies, dass sich psychiatrische Abklärungen zum Gesundheitszustand bzw. zur möglichen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers aufdrängten (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 1B_705/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 2.8).

Selbst das hat keine direkten Folgen, insbesondere nicht die umgehende Haftentlassung. Das Bundesgericht spricht aber immerhin Klartext und ordnet eine Art aufschiebend bedingter Haftentlassung an:

Zur Vermeidung weiterer prozessualer Verstösse gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen ordnet das Bundesgericht jedoch (in Anwendung von Art. 107 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 226 Abs. 4 StPO) an, dass eine sofortige Haftentlassung (allenfalls gegen angemessene Ersatzmassnahmen) zu erfolgen haben wird, falls den kantonalen Behörden bis am 1. März 2013 kein psychiatrisches Kurzgutachten vorliegt, in welchem eine erhebliche Rückfalls- bzw. Ausführungsgefahr für schwer wiegende Delikte klar bejaht wird. Der festgestellten Rechtsverletzung ist auch bei der Festlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des Verfahrens angemessen Rechnung zu tragen (E. 3.7).

Nun gut, die kantonalen Behörden haben ihr Ziel erreicht. Weitere Folgen hat das Urteil ja nicht. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: einem als unschuldig geltenden Mann wird die Freiheit entzogen und zwar auf Grundlagen, die dem höchsten Gericht der Schweiz nicht genügen. Es ordnet daher Korrekturen an, die  missachtet werden und den Freiheitsentzug um Monate verlängern. Nur Dank einem weiteren Gang ans Höchstgericht werden Nägel mit Köpfen gemacht, der Freiheitsentzug aber weiter geschützt, obwohl er noch immer nicht rechtens ist.