Bundesrichter zur Raserdebatte
In den letzten Wochen übertrafen sich v.a. Politiker und Journalisten mit immer weitergehenden Forderungen im “Kampf” gegen Raser. Ich hatte mir schon lange vorgenommen, die Debatte hier aufzuarbeiten, aber sie nahm Dimensionen an, denen ich nicht mehr gewachsen war. Der Anlass, dass ich es nun doch im Ansatz versuche, ist ein MZ-Interview mit einem Bundesrichter, der gewisse Dinge zurecht rückt (s. dazu untewn und auch den Beitrag im Tages-Anzeiger).
Den Tiefpunkt der Debatte ist und bleibt für mich die völlig unbegründete Justizkritik eines bloggenden Bundesrats, der in seinem früheren Leben Strafverteidiger war und es eigentlich besser wissen müsste. Aus dem Interview:
TA: Wenn Raser nach Unfällen mit Todesfolge frei herumlaufen und sich in Szene setzen, schürt das den Volkszorn. Sollten die Behörden nicht rigoroser vorgehen?
Leuenberger: Ich beobachte merkwürdige Beisshemmungen bei der Justiz. Man könnte zum Beispiel einen Raser so lange inhaftieren, bis abgeklärt ist, ob es besondere Massnahmen braucht, damit er seine Raserei nicht wiederholt und die Bevölkerung nochmals gefährdet. Ich hoffe, die öffentliche Debatte und Via Sicura machen den Richtern Mut für härtere Verdikte [Das Interview ist auf der Homepage des UVEK abgedruckt].
Heute meldet sich nun wie gesagt ein Bundesrichter zu Wort, der endlich ein paar Dinge zurecht rückt und insbesondere die Richter auffordert, kühlen Kopf zu bewahren:
Mutig sind Richterinnen und Richter, die auch bei so genannten Rasern unbeeinflusst bleiben und in jedem Einzelfall Schuld und Strafe angemessen festsetzen.
Nur komisch, dass bei einem Täter, der mit einem Gewehr oder einem Revolver jemand tötet, kaum “kühlen Kopf” bewahrt wird und dieser aller meistens sofort ins Gefängnis kommt.
Anscheinend fällt es Konsumenten der Boulevardpresse schwer, zwischen Mord und Unfall zu unterscheiden.
Die Schweiz hat bereits die niedrigsten Tempolimits und die drakonischsten Strafen in Europa – einschliesslich Ungleichbehandlung für Besserverdienende. Nirgendwo wird so langsam und “gesittet” gefahren wie in der Schweiz – häufig sogar deutlich langsamer als erlaubt. Allein die Unfallzahlen beeindruckt dies nicht. Das Gegenteil ist der Fall: “Mangelnde Aufmerksamkeit” rangiert bei den Unfallursachen ganz weit vorne.
Staatsanwalt Boll behauptet:
“Als Raser gilt, wer innerorts 100. ausserorts 160 oder auf der Autobahn 200 kmh schnell fährt – oder auf andere Art und Weise hochriskante Situationen in Kauf nimmt…”
Geschwindigkeiten von 200 km/h gehören in Deutschland zu einem Merkmal der sichersten Strassen der Welt, den Autobahnen. Obwohl 2/3 des Gesamtverkehrs über sie abgewickelt werden, ereignen sich dort die wenigsten Unfälle.
Wie bei vielen Missständen hilft BILDUNG, statt Verblödung. Es ist an der Zeit, sich von faschistisch anmutenden Dogmen und Plattitüden (“Helft Rasern. Spendet Hirn.”) zu verabschieden und sich einer objektiven Betrachtung zu öffnen.
Repressalien und drakonische Strafen haben sich in über 160 Jahren Verkehrsüberwachung nicht wirksam durchsetzen können. Wenn das Ziel wirklich die Sicherheit im Strassenverkehr (und nicht die Einnahmen aus Bussen) ist, dann müssen sich Politik, Polizei und Medien mit den tatsächlichen Ursachen auseinandersetzen.
1. Die Tempolimite sollten zeitgemäss erhöht werden: 160 km/h auf Autobahnen und 100 km/h auf Landstrassen.
2. Jungen Autofahrern, die einen Nervenkitzel suchen, soll diese Möglichkeit auf einer Rennstrecke unter kontrollierten Bedingungen und bei Fahrtrainings geboten werden. Dies wird im Ausland bereits SEHR erfolgreich praktiziert. Es erfordert natürlich, dass das unsägliche Rennstreckenverbot fällt.
3. Viele Unfallschwerpunkte können durch eine geänderte Ampelschaltung oder bauliche Änderungen bereits entschärft werden – und damit meine ich keine Bremsschwellen.
4. Die Anforderungen an den Führerscheinerwerb müssen DEUTLICH steigen.