Bundesrichter als Tatrichter?
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat den Freispruch einer bekannten Patientenschützerin in einem Punkt erfolgreich vor Bundesgericht angefochten (Urteil 6B_336/2007 vom 19.11.2007, s. meinen früheren Beitrag).
Der Entscheid überzeugt mich nicht, weil sich die drei Bundesrichter m.E. zu Tatrichtern machen, jedenfalls im Ergebnis. Sie heissen die Beschwerde nicht wegen unrichtiger Rechtsanwendung gut, sondern – ohne dies ausdrücklich zu erklären – wegen willkürlicher Beweiswürdigung. Sie ersetzen die Beweiswürdigung der Vorinstanz durch eine eigene, die mir nicht als zwingend erscheint:
Die Beschwerdegegnerin legte Dr. G. in ihrer Zeugenaussage vom 7. Oktober 1999 ein wörtliches Zitat in den Mund, mit welchen Worten er sich am 20. August 1998 telefonisch rückversichert haben soll, ob er die Bestellung der Methylenblau-Lösung richtig verstanden habe. Sie hat ausdrücklich erklärt, Dr. G. habe ihr diesen Sachverhalt selber erzählt, und sie habe ihn so zitiert, wie er sich ausgedrückt habe.
Es steht fest, dass Dr. G. am 20. August 1998 nicht mit dem Operationssaal telefonierte, da er nicht im Dienst war. Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, weshalb er die Beschwerdegegnerin über diese Tatsache hätte belügen und ein wörtliches Zitat erfinden sollen, mit dem er seine Nachfrage beim Operationssaal angeblich einleitete. Ein Irrtum, wie ihn das Kantonsgericht nicht ausschliessen will, wäre allenfalls plausibel, wenn es darum gegangen wäre, dass Dr. G. eine von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Behauptung hätte bestätigen sollen, neigte er doch offenbar dazu, die von der Beschwerdegegnerin wortreich vorgetragenen Beschuldigungen, es würden am C. Spital zu Forschungszwecken Experimente an Menschen durchgeführt, stillschweigend über sich ergehen zu lassen und sich dazu nicht zu äussern, was sie allenfalls irrigerweise als Bestätigung hätte auffassen können. Nach der Darstellung von Dr. G. ist das fragliche Gespräch zwischen ihm und der Beschwerdegegnerin denn auch so verlaufen, dass sie ihm ihre vorgefasste Meinung über die Menschenversuche vorgetragen habe, worauf er aber nicht reagiert habe. Er habe insbesondere auch nicht gesagt, der Einsatz von Methylenblau sei kritisch gewesen, er habe es damals sogar als weniger toxisch eingestuft, als es effektiv sei. Nach der Darstellung der Beschwerdegegnerin soll indessen Dr. G. selber den Ablauf der Methylenblau-Lieferung in den Operationssaal geschildert und dabei sein angebliches Telefongespräch teilweise wörtlich wiedergegeben haben. Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, weshalb Dr. G. eine derartige unwahre Darstellung der Vorfälle vom 20. August 1998 hätte abgeben sollen, noch wie ihn die Beschwerdegegnerin falsch hätte verstehen können. Und sie hatte entgegen der Auffassung des Kantonsgerichts durchaus auch ein Motiv, ihre Unterstellung, der Kantonsapotheker sei durch die Methylenblau-Bestellung schockiert gewesen, nicht nur durch die Aussagen anonymer oder nicht offen auftretender Quellen, sondern auch durch dessen eigene Darstellung zu bestätigen. Auch wenn man der Beschwerdegegnerin zu Gute hielte, dass sie möglicherweise nicht mehr immer in der Lage war, zwischen Fakten und ihren eigenen Meinungen und Einschätzungen klar zu unterscheiden, so musste sie sich jedenfalls bewusst sein, dass ihre Zeugenaussagen zur (angeblichen) Darstellung der Vorgänge vom 20. August 1998 durch Dr. G nicht der Wahrheit entsprachen. Die Beschwerde ist insoweit begründet (E. 3.3.3).
Nicht aus dem Urteil hervor geht übrigens, ob die Staatsanwaltschaft Willkür überhaupt gerügt hat.