“Civil forfeiture” in der Schweiz
Im Rahmen einer Grenzkontrolle haben die Zollbehörden in einem Fahrzeug einen Koffer entdeckt, in dem sich GBP 348,145.00 und SCP 800.00 in kleinen Banknoten befanden, verpackt in zwei Kleidervakuumsäcken. Die Banknoten wurden sichergestellt und untersucht. Dabei wurden Kokainrückstände festgestellt.
Im Strafverfahren gegen die beiden Insassen des Fahrzeugs wurden die Banknoten beschlagnahmt und nach der Einstellung des Verfahrens selbständig eingezogen, gemäss Bundesgericht zu Recht (BGer 6B_220/2018 vom 12.04.2018):
Die Vorinstanz verfällt nicht in Willkür, wenn sie davon ausgeht, das beschlagnahmte Bargeld sei deliktischer Herkunft. Sie legt willkürfrei dar, dass verschiedene Indizien (hohe Kokain-Kontamination, Stückelung und Art des Transportes des Geldes) dafür sprechen, dass die Gelder aus dem Drogenhandel stammen, und umgekehrt Anhaltspunkte für einen legalen Erwerb fehlen. Die Beschwerdeführerin reichte im vorinstanzlichen Verfahren zum Beweis der angeblich legalen Herkunft des Geldes verschiedene Rechnungen aus den Jahren 2014 bis 2016 über den Verkauf von Luxusuhren ein. Sie setzt sich damit jedoch nicht näher auseinander, sondern behauptet pauschal, das Bargeld würde aus diesem Uhrenhandel stammen. Konkret macht sie geltend, sie habe Luxusuhren erworben und am 5. Oktober 2016, 3. August 2016, 9. Juni 2016, 7. September 2016 und 5. April 2016 für GBP 145’000.–, 66’277.–, 53’093.–, 54’260.– bzw. 47’345.– an eine Gesellschaft in den USA bzw. in Hongkong veräussert (vgl. Beilagen 20 bis 24 der kantonalen Beschwerde). Dabei bleibt sie jedoch insbesondere eine Erklärung schuldig, weshalb der Kaufpreis für diese in die USA bzw. nach Hongkong verkauften Uhren angeblich in britischen und schottischen Pfund in bar und kleiner Stückelung beglichen wurde. Weshalb auf den IMS-Bericht nicht abgestellt werden kann, zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht substanziiert auf. Abgesehen davon handelt es sich bei der Kokain-Kontaminierung nur um eines von mehreren Indizien für die illegale Herkunft der Gelder. Dieses ändert zudem nichts daran, dass die Vorinstanz die Behauptung der Bes chwerdeführerin, die Gelder würden aus dem Handel mit Luxusuhren stammen, ohne Willkür als Schutzbehauptung qualifizieren durfte.Da die Geldmittel nach den willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz nicht aus dem geltend gemachten Uhrenhandel stammen, kann sich die Beschwerdeführerin von vornherein nicht auf Art. 70 Abs. 2 StGB berufen. Offenbleiben kann damit, ob diese überhaupt Eigentümerin des Geldes ist (E. 6).
Interessant (im Sinne von haarsträubend) sind auch die Einziehungspraktiken in Grossbritannien. Aufschlussreich dazu sind insbesondere die EGMR Urteile Phillips v. UK vom 5.7.2001 und Butler v. UK vom 27.6.2002. Der EGMR lässt diese Praktiken aber jeweils mit dem Hinweis zu, dass es sich nicht um eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 Abs. 2 EMRK handle, sondern um eine präventive Massnahme.
Wahrlich ein vorzüglicher Tipp von John Oliver – und auch ein ausgesprochen sinnvoller Beitrag zu dieser Diskussion, er gilt schliesslich als Experte in dieser Thematik. Es ist ja wirklich fragwürdig, wenn die Polizei einfach meine 1.5 Mio EUR in 50ern wegnimmt, die ich in meinem Auto verbaut von Spanien in die Schweiz bringen möchte. Man hat mir schliesslich nie beweisen können, dass das Geld nicht aus legaler Quelle kommt. POLIZEISTAAT!!
@Josi: Aber das Problem hast Du nicht begriffen, oder?
Die Bundesrechtswidrigkeit konnte auf folgende Art nachgewiesen werden:
Staatsanwaltschaften können deliktische Vermögen nur in einem zivilrechtlichen, nicht jedoch im Strafverfahren einziehen, denn dort ist dies (alleinige) Sache des Gerichts (Art 70 Abs 1 StGB, der die Zuständigkeit im Strafverfahren dem Gericht, iVm Art 377 Abs 2 StPO, der sie im zivilrechtlichen Verfahren der Staatsanwaltschaft zuweist).
Die Staatsanwaltschaft kann, wie jede Strafbehörde, keine strafprozessualen Rechte umgehen, indem sie neben dem Straf- noch ein zweites, zivilrechtliches Verfahren auf Vermögenseinziehung eröffnet, wenn vom eingezogenen Gegenstand keine Gefahr gegen Personensicherheit, öffentliche Ordnung oder Sittlichkeit ausgeht (Art 69 StPO Abs 1 iVM Art 70 Abs 1). Dasselbe gilt, wenn sie gar kein Strafverfahren führt, obwohl ein solches möglich wäre, denn sonst könnte die Strafbehörde mittels Verzichts auf ein oder Einstellung eines Strafverfahren die obige Regelung aushebeln, und sie wäre bar materiellen Gehalts.
Mit anderen Worten: Ausser es liegt Gefahr gegen Personensicherheit, öffentliche Ordnung oder Sitte vor, und ist ein Strafverfahren möglich, ist die Einziehung von deliktischen Gegenständen nur im gerichtlichen (1. Abschnitt) Strafverfahren (2. Abschnitt) zulässig.
Vorliegend erfolgte die Einziehung zivilrechtlich (E2, Satz “Gegen kantonal letztinstanzliche Entscheide betreffend eine selbstständige Einziehung …”) durch die Staatsanwaltschaft (E1, Satz “Das …”). Die vorliegende Konstellation beinhaltete ein staatsanwaltliches Strafverfahren gegen X und Y in der Sache (wegen Geldwäscherei etc, E1 Satz “Mit Verfügung”), jedoch nicht gegen die Beschwerdeführerin, obwohl ein solches zweitinstanzlich gegen die namentlich bekannte und fürsprecherisch vertretene Beschwerdeführerin (vgl Urteilskopf) zweifellos möglich war. Dem Urteil ist kein Hinweis auf Gefahr gegen Personensicherheit, öffentliche Ordnung oder Sitte zu entnehmen, und eine solche ist bei einem Koffer mit Banknoten aus Papier auch nicht ersichtlich, sonst wäre ein Geldtransport auch eine.
Dass die stark mit illegalen Drogen verunreinigten Noten Drogenbesitz und damit eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen würden, macht das Gericht aus gutem Grund nicht geltend, sonst könnte die Polizei mit dieser Begründung in jede Disko gehen und dort die Thekenkasse einziehen. Das zivilrechtliche Verfahren auf Geldeinziehung durch die Staatsanwaltschaft war also mangels Erfüllung des Gefahrkriteriums nicht zulässig.
Es wäre aus dem gleichen Grund selbst dann nicht zulässig gewesen, wenn es durch ein Gericht angeordnet worden wäre.
Das Geld hätte, da den Grenzbetrag übersteigend, an der Grenze nicht nur nicht versteckt werden dürfen, sondern – mindestens am deutschen Zoll – deklariert werden müssen. Aber Bargeldschmuggel unter Strafe zu stellen ist Sache des Gesetzgebers: solange dieser keine Bestrafung – etwa durch Busse in der Höhe des Schmuggelbetrags – vorsieht, können das die Strafbehörden auch nicht, auch nicht über den Umweg eines Einzugs.
Das gesetzmässige Vorgehen hätte vorliegend darin bestanden, dass die Staatsanwaltschaft den Fall an das Strafgericht überweisen hätte, und dieses ein Strafverfahren gegen A, B und X, sowie ein Einziehungsverfahren ebenfalls gegen A, B und X gemäss Art 70 Abs 1 StPO durchgeführt hätte.
Berichtigung: Art 69 und 70 StGB, nicht StPO