Crossair: Die Falschen angeklagt?

Ungewöhnlich scharf reagieren viele Medien auf die Freisprüche im Crossair-Prozess (s. meinen letzten Beitrag). Normalerweise wird in solchen Fällen ja das Märchen von den Grossen, die man laufen lässt, neu aufgelegt. Doch diesmal ist es anders: der Ankläger wird an den Pranger gestellt. Es wird sogar angetönt, dass die eigentlichen Verantwortlichen verschont wurden (was dann u.U. wiederum strafbar sein könnte). Hier ein paar Zitate:

Crossair-Absturz: Forderungen gegen den Bund, Sonntag, 18. Mai 2008 (nicht online):

Derweil reagiert man beim Bund nervös auf die Niederlage vor dem Gericht in Bellinzona: Einem unliebsamen Zeugen, der die Anklage ins Wanken brachte, wurden die Aufträge entzogen. Es handelt sich um den von der Verteidigung vorgeladenen Experten Matthias Schmid, der aussagte, der Sicherheitscheck sei falsch interpretiert worden.

Schmid verliert mit sofortiger Wirkung alle Aufträge des Büros für Flugunfalluntersuchungen, wie dessen Chef Jean Overney bestätigt – offiziell wegen «unerlaubter Nebentätigkeit». Laut Gegenseite erfolgt die Kündigung aus Rache, weil Schmid den zentralen Anklagepunkt, der Pilot sei unfähig gewesen, als falsch entlarvte.

Bulletti muss weg, SonntagsZeitung vom 18. Mai 2008, 22 (nicht online):

Jetzt reicht es. Seit mehr als zehn Jahren macht Ermittler Carlo Bulletti ein einem Verfahren nach dem anderen gravierende Fehler. […] Bulletti kennt keine Grenzen: Statt nach dem vernichtenden Urteil vom Freitag zu schweigen, attackiert er die Freigesprochenen gestern im “Blick”. Er erhebt dieselben Anschuldigungen, die die Richter tags zuvor als unhaltbar abschmetterten. Das wird für Bulletti höchstwahrscheinlich rechtliche Konsequenzen haben. […] es ist höchste Zeitfür seinen Chef, Erwin Beyeler, die Notbremse zu ziehen: Carlo Bulletti muss weg.

Noch ein Absturz, NZZ Nr. 113 vom 17./18.05.2008, 15:

Der Prozessverlauf hat an den Tag gebracht, dass das Unglück mutmasslich in ganz wesentlichem Zusammenhang mit dem bei den gegebenen Wetterbedingungen hochproblematischen Anflug von Osten auf die Piste 28 stand. Für die Pistenzuweisung trug die Flugsicherung Skyguide die Verantwortung, für die zum Unfallzeitpunkt internationalen Standards widersprechende Regelung der Pisten-Mindestsichtweite der Regulator, also das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Es ist stossend, dass die Anklage nicht einmal einen Gedanken an diese Zusammenhänge verschwendet hat.

Lehren aus Bassersdorf? Die Crew hat das Unglück nicht überlebt. Die Crossair gibt es nicht mehr. Das Bazl ist heute anders aufgestellt, und Skyguide befindet sich nach Überlingen in einem grossen Umbruch. Bleibt die Bundesanwaltschaft. Eine weitere Anklage von der Qualität, wie sie in Bellinzona dem Gericht, den Angeklagten und der interessierten Öffentlichkeit zugemutet wurde, ist nicht hinnehmbar. Personelle Konsequenzen sind unumgänglich.

Die ungewöhnlichen Reaktionen sind wohl auf folgende Faktoren zurückzuführen:

  1. Generell: Die Bundesanwaltschaft ist massiv angeschlagen. Da darf man also ruhig drauf hauen und wird erst noch Applaus ernten.
  2. Speziell: Eine Verurteilung wäre kaum verstanden worden. Selbst der Laie spürt, dass die Distanz zwischen Cockpit und Chefsessel etwas gar gross war, dass es so etwas wie Voraussehbarkeit geben muss, um bestraft werden zu können. Es fällt auf, dass die einfachsten Zusammenhänge manchen “Profis” abhanden gekommen zu sein scheinen.