Das Ende der verdeckten Ermittlung

Polizisten, die sich beruflich als Minderjährige in Chatrooms aufhalten, gelten grundsätzlich nicht mehr als verdeckte Ermittler. Zu diesem Ergebnis kommt das Bundesgericht, indem es die notwendigen gesetzlichen Begriffsmerkmale der verdeckten Ermittlung definiert und in einem neuen Grundsatzentscheid verwirft (BGE 6B_1293/2015 vom 28.09.2016, Publikation in der AS vorgesehen).

Die erste Phase einer solchen Chatroom-Operation stellt gemäss Bundesgericht eine polizeirechtliche Massnahme ausserhalb der Strafprozessordnung dar (präventive Kontaktnahme”). Bei der zweiten Phase (Versand eines Nacktbilds durch den Täter) wurde die Aktion zur strafprozessualen verdeckten Fahndung. Eine verdeckte Ermittlung lag bereits mangels “Legendierung” nicht vor. Man wird in Zukunft also einfach auf urkundengestützte “Legendierungen” verzichten und schon hat man sich der Anwendung der Regeln über die verdeckte Ermittlung entzogen:

Die vom polizeilichen Fahnder an den Beschwerdegegner weitergegebene Mobiltelefonnummer wurde – was die Vorinstanz nicht zu beachten scheint – im Übrigen nicht auf dessen Scheinidentität ausgestellt, sondern auf die Stadt Zürich. Für die Registrierung der Mobiltelefonnummer wurden folglich keine fingierten Urkunden eingesetzt; auch unter diesem Aspekt liegt eine Legendierung im Sinne von Art. 285a StPO nicht im Ansatz vor. Entgegen den Auffassungen der Vorinstanz und des Beschwerdegegners fehlt es damit vorliegend, wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, an einer urkundengestützten Legendierung im Sinne von Art. 285a StPO und folglich an einem Begriffsmerkmal der verdeckten Ermittlung (E. 4.1.4).

Es mag ja sein, dass der Entscheid im Ergebnis richtig ist. Es kann aber nicht richtig sein, eine Zwangsmassnahme nach Begriffsmerkmalen zu beurteilen. Ich würde für eine funktionale Beurteilung plädieren.

Hinweisen möchte ich noch auf eine ganz zentrale Erwägung zur Abgrenzung zwischen Polizeirecht und Strafprozessrecht (vgl. dazu meinen damaligen Beitrag):

Das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Anwendbarkeit der StPO ist der strafprozessuale Anfangsverdacht (vgl. Urteil 6B_1143/2015 vom 6. Juni 2016 E. 1.3.1 mit Hinweis). Die Bestimmungen der StPO über die verdeckte Ermittlung und Fahndung finden mit andern Worten grundsätzlich nur Anwendung, wenn ein Tatverdacht vorliegt (vgl. Art. 286 Abs. 1 lit. a StPO und Art. 298b Abs. 1 lit. b StPO) [E. 2.5].