Das Nachbesserungsrecht des Haftrichters

In einem heute online gestellten Entscheid (1B_111/2007 vom 03.07.2007) heisst das Bundesgericht erneut eine Haftbeschwerde gut, ohne den Beschwerdeführer, einen psychisch kranken Mann, der seine Mutter gebissen und geschlagen hatte, aus der Haft zu entlassen. Obwohl der Beschwerdeführer nie wegen solcher Delikte verurteilt worden war, hielt der Haftrichter den speziellen Haftgrund der Widerholungsgefahr für gegeben. Nach dem angefochtenen Entscheid sei davon auszugehen,

dass der Angeschuldigte in der Vergangenheit wiederholt gegenüber anderen Personen tätlich geworden sei, diese zum Teil verletzt und auch bedroht habe. Er sei dafür zwar nie verurteilt worden, was jedoch am Vorliegen von Wiederholungsgefahr nichts ändere (E. 2.2).

Das Bundesgericht hat sich materiell zu den Voraussetzungen der Wiederholungsgefahr nicht geäussert, sondern die Beschwerde wegen ungenügender Begründung (Verletzung des Gehörsanspruchs, Art. 29 Abs. 2 BV) gutgeheissen:

Der Haftrichter hat die Ausführungen des Beschwerdeführers zu dem von der Staatsanwaltschaft geltend gemachten Haftgrund kaum gewürdigt. Er beschränkt sich auf einen kurzen Hinweis, am Bestehen der Wiederholungsgefahr ändere der Umstand, dass der Beschwerdeführer noch nie wegen Körperverletzung und/oder Drohung verurteilt worden sei, nichts. Zur Frage, warum die Sachverhalte, die nicht zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verbrechen oder schweren Vergehen geführt haben, als Vortaten im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH gelten sollen, äussert sich der angefochtene Entscheid nicht. Ebenso wenig nennt der Haftrichter konkrete Umstände, welche die Ausführung von Straftaten begünstigen, wenn auf die Haft verzichtet würde. Der Hinweis im angefochtenen Entscheid auf massive psychische Probleme des Angeschuldigten lassen jedenfalls die Frage nach anderweitigen Massnahmen, etwa solchen fürsorgerischer Natur, aufkommen. Im Übrigen enthält der angefochtene Entscheid auch keine Begründung, warum Ersatzmassnahmen im Sinne von § 72 StPO/ZH wie das vom Beschwerdeführer genannte Kontaktverbot mit dem Opfer nicht ausreichen würden, um den Untersuchungszweck zu gewährleisten. Mit dem blossen Hinweis, es bestehe keine Gewähr, dass der Angeschuldigte sich an eine solche Ersatzmassnahme halten würde, nennt der Haftrichter jedenfalls keine konkreten Umstände, die gegen ein Ausreichen milderer Massnahmen sprechen würden. Der angefochtene Entscheid genügt somit der Begründungspflicht im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV weder im Hinblick auf die Bejahung der Wiederholungsgefahr noch bezüglich des Verzichts auf Ersatzanordnungen. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde (E. 2.2.3).

… aber noch lange nicht zur beantragten Haftentlassung. Der Haftrichter wird statt dessen eingeladen, seinen Entscheid nachzubessern:

Aus der Gutheissung der vorliegenden Beschwerde wegen Verletzung der Begründungspflicht folgt noch nicht, dass auch das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers gutzuheissen ist. Der Haftrichter wird sich vielmehr zu den Einwänden des Angeschuldigten gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu äussern haben. Dabei sind mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit auch mögliche Ersatzanordnungen im Sinne von § 72 StPO/ZH zu prüfen. Insbesondere wird auch zu beurteilen sein, ob es im Fall einer Haftentlassung im Interesse des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen angezeigt ist, anderweitige Massnahmen, etwa solche fürsorgerischer Natur, zu ergreifen (vgl. BGE 125 I 361 E. 6 S. 367) (E. 3).

Ich habe diese Praxis immer wieder kritisiert, weil auf diese Weise die verfassungsmässige Begründungspflicht letztlich nie durchgesetzt werden kann. Das Bundesgericht könnte sich viel Arbeit ersparen, wenn es den an sich logischen zweiten Schritt der Haftentlassung konsequent anordnen würde. Statt dessen muss es immer und immer wieder die Verletzung der Begründungspflicht feststellen, ohne dass diese von den unteren Instanzen ernst genommen würde. L’art pour l’art?