Das Obergericht Aargau und das Geld
Nach der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (vgl. meine früheren Beiträge, zuletzt hier), kassiert nun auch das Bundesgericht einen Entscheid des Obergerichts AG, bei dem es um Entschädigungen geht (BGer 6B_975/2021 vom 07.09.2022).
Das ist schon deshalb erwähnenswert, weil das Obergericht AG auf die Kritik an seiner Rechtsprechung in Kostenfragen öffentlich mit dem Hinweis reagiert hatte, nach neuer revidierter StPO sei ja künftig nicht mehr das Bundesstrafgericht, sondern das Bundesgericht zuständig. Dieses hat zwar im vorliegenden Fall “nur” wegen einer Gehörsverletzung kassiert, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Bundesgericht nach der neuerlichen Festsetzung der Entschädigung in derselben Sache noch ein drittes Mal erfolgreich angerufen werden muss.
Wieso ein Gericht scheinbar alles daran setzt, an sich anerkannte Entschädigungsansprüche immer und immer wieder in bundesrechtswidriger Art und Weise zu verletzen, ist mir ein Rätsel.
Das Zeil dürfte sein, die Verteidiger/innen auf einen Minimalaufwand zu konditionieren oder gar keine amtliche Mandate im Aargau anzunehmen. Je weniger Widerstand, je weniger Aufwand für die Gerichte. Schade ist, dass das Bundesgericht keine Lohnreduktionen bei den Richter/innen verfügen kann, wenn sie solche Urteile erlassen.
Indirekt hat das Bundesgericht den Kanton abgestraft. Es wurde eine (für das Bundesgericht) sehr hohe Parteientschädigung ausgesprochen, welche man sonst nur in Ausnahmefällen bekommt… Ich denke das zeigt die Haltung des Bundesgerichtes deutlich.
@CD: 3T ist üblich, wenn vollumfänglich gutgeheissen wird. Du weisst das doch ?
bei Gutheissung des Gesuchs werden in der Regel pauschal Fr. 3’000.– inkl. MWSt zugesprochen, gestützt auf das Reglement über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor Bundesgericht, SR 173.110.210.3; Urteil 6B_1326/2018 vom 16. Oktober 2019 E. 3, nicht publ. in: BGE 145 IV 491
Ich habe schon mehrfach weniger erhalten, obwohl die Beschwerde gutgeheissen wurde. Und in dieser Sache hätte es mich auch nicht gewundert, weil der Umfang sehr überschaubar war.
Herr Six kann Ihnen diese Frage sicher beantworten….
Ist doch irgendwie heuchlerisch, dass alle Gerichte das rechtliche Gehör zur Entschädigung gewähren müssen – ausser natürlich das Bundesgericht selbst.
Ausserdem steht in Art. 429 Abs. 2 StPO:
“Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie KANN die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.”
Aber das allmächtige Bundesgericht kann ja einfach mal sagen, dass der Gesetzgeber “muss” und nicht “kann” gemeint hat.
Wenigstens ist die Grundlage zur Entschädigung im BGG auch transparent verankert:
“Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.”
Unkonkreter kann man das ja gar nicht formulieren.
@kj:
Die gleiche Problematik besteht bei diversen kantonalen Versicherungsgerichten im Sozialversicherungsrecht bezüglich der Parteientschädigung gemäss Art. 61 lit. g ATSG bzw. bezüglich der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands gemäss Art. 61 lit. f ATSG. Das Bundesgericht legt die Pflicht zur Begründung der Entscheide gemäss Art. 61 lit. h ATSG so lasch aus, dass bei der Festsetzung der Höhe der Parteientschädigung deren Höhe nicht oder nur mit inhaltlosen formelhaften und damit faktisch nicht anfechtbaren Formulierungen begründet werden muss. Damit kann die Höhe der Parteientschädigung auch bei krassem Abweichen von eingereichten Kostennoten/Aufstellungen des Stundenaufwands praktisch nicht wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. der Begründungspflicht angefochten werden und die Festsetzung der Höhe der Parteientschädigung wird als kantonales Recht angesehen, das nur wegen Verstoss gegen die BV (praktisch nur das Willkürverbot) angefochten werden kann und das Bundesgericht setzt die Latter für die Begründung einer Willkürrüge bei der Höhe der Parteientschädigung praktisch so hoch an, dass man eigentlich keine Chance mit einer Anfechtung hat. Bei der Höhe der Entschädigung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands muss immerhin das Abweichen von der Kostennote begründet werden, aber auch dort lässt das Bundesgericht den kantonalen Versicherungsgerichten bei der Begründung der Abweichung und bei einer Willkürrüge einen riesigen Spielraum. Praktisch besteht kaum Rechtsschutz um sich gegen Kürzungen der Parteientschädigung oder Entschädigung zu wehren. Ich rede hier nicht von übertriebenem Aufwand, sondern davon, dass Entschädigungen in keinem Verhältnis zu der Anzahl der zu lesenden Seiten und der Anzahl der notwendigen Seiten für eine Beschwerdeschrift oder Repliken stehen selbst wenn die Gegenseite in einer Beschwerdeantwort neue Argumente bringt und man somit die Notwendigkeit einer Replik kaum absprechen kann. Wenn die Vorinstanz in der Chronologie des Sachverhalts ihres Urteils vorne kurz “unaufgeforderte” Repklik schreibt, reicht das schon um den Aufwand für eine Replik nicht zu entschädigen. Es ist eine politisch gewollte Sparpolitik bzw. versteckte Sanktion gegen Rechtsvertreter.
….ja, solche Fälle mag es mit Sicherheit geben.
Es gibt aber auch diejenigen (und dass sind nicht gerade wenige) Fälle, wo der RA einfach eine bereits bei der Vorinstanz hinterlegte Beschwerdeschrift à la „kopieren und einfügen“ einreicht und dann nicht versteht, dass seine Entschädigung gekürzt wird…
@Anonymous
Das Bundesgericht legt die Pflicht gemäss dem BGG zur rechtsgenüglichen Begründung von Beschwerden so aus, dass auf Beschwerden, welche praktisch wortwörtlich mit einer vorinstanzlichen Beschwerde identisch sind nicht eingetreten wird und bei Nicheintreten wird in aller Regel dem Beshwerdeführer keine Parteientschädigung zugesprochen und ein URB wegen Aussichtslosigkeit verweigert. Und selbst wenn diese Konstellation bereits bei zwei identischen Beschwerden bei zwei identischen Beschwerden bei zwei kantonalen Vorinstanzen aufgetreten ist, kann es sein, dass der Vertreter für die zweite Beshwerde bereits eine reduzierte Entschädigung verlangt hat und trotzdem reflexartig automatisch gekürzt wird weil die kürzeste Instanz vor der Kürzung den notwendigen Aufwand nicht sorgfältig ermittelt weil sie die Kürzung nicht sorgfältig begründen muss.