Das Tagebuch als Beweismittel

Das Bundesgericht lässt es zu, dass ein von der Gefängnisverwaltung entdecktes und gelesenes Tagebuch eines Häftlinge als Beweismittel gegen ihn verwendet wird. Als Beweismittel war das Tagebuch nicht etwa für die Aufklärung der Straftat interessant, sondern für die Frage der allenfalls zu verhängenden Massnahme in einem Berufungsverfahren (BGer 1B_146/2016 vom 30.05.2016).

Zum Sachverhalt stellt das Bundesgericht folgendes fest:

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 informierte das Regionalgefängnis Burgdorf das Obergericht im Rahmen des hängigen Berufungsverfahrens, bei der Durchsicht der Effekten von A. sei ein Tagebuch mit mehreren Einträgen mutmasslich strafrechtlich relevanten Inhalts gefunden worden. Darin beschreibe A. unter anderem, dass er gerne eine Frau gnadenlos und ohne Reue töten würde, weil ihm dies ein Dämon befehle.

Zur Verwertbarkeit macht das Bundesgericht eine Abwägung, die aus Art. 264 Abs. 1 lit. b StPO fliesse. Danach dürfen persönliche Aufzeichnungen und Korrespondenz des Beschuldigten nicht beschlagnahmt werden, wenn sein Interesse am Schutz der Persönlichkeit das Strafverfolgungsinteresse überwiegt. Die Verwertung des Tagebuchs sei deshalb rechtmässig,

wenn das Interesse der Untersuchungsbehörden an der Kenntnisnahme der Tagebucheinträge höher einzustufen ist als das entgegenstehende Geheimhaltungsinteresse des Beschwerdeführers.

Dass die Frage nach der Massnahme kein Strafverfolgungsinteresse darstellen kann diskutiert das Bundesgericht ebenso wenig wie die Frage, was die Gefängnisverwaltung in den Tagebüchern der Insassen zu suchen hat. Nicht einfach wird der Entscheid, wenn das Bundesgericht noch die Interessen des Beschwerdeführers selbst ins Feld führt:

Hauptgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Frage, ob gegen den Beschwerdeführer eine stationäre oder eine ambulante Massnahme verhängt werden soll. Deren Beantwortung hängt wesentlich davon ab, ob von ihm ein hohes Risiko für schwere Gewalttaten ausgeht und ob dieses gegebenenfalls auch durch eine ambulante Behandlung auf ein tragbares Mass reduziert werden kann oder nicht. Ob und in welcher Art der Beschwerdeführer Tötungsfantasien in seinem Tagebuch niedergeschrieben hat, kann für die Beurteilung seiner psychischen Verfassung und damit auch für die gutachterliche Risikoeinschätzung selbstredend von erheblicher Bedeutung sein. Unter diesen Umständen geht das öffentliche Interesse an einer möglichst umfassenden gutachterlichen Abklärung dem entgegenstehenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Schutz seiner Privatsphäre vor. Es gilt zu vermeiden, dass die Gutachterin das vom Beschwerdeführer allenfalls ausgehende Gewaltrisiko falsch einschätzt, weil ihr nicht alle relevanten Akten zur Verfügung stehen. Würde sie auf einer unvollständigen tatsächlichen Grundlage allenfalls eine ungeeignete Massnahme empfehlen, so könnte das sowohl den Beschwerdeführer um eine sachgerechte Behandlung und Betreuung bringen als auch möglicherweise die öffentliche Sicherheit grob gefährden, wenn er etwa in Freiheit während eines psychotischen Schubs versuchen würde, allfällige Tötungsfantasien in die Realität umzusetzen. Da die Gutachterin mit den Besonderheiten des Falles vertraut ist, insbesondere auch mit dem Umstand, dass der unbestrittenermassen massnahmenbedürftige Beschwerdeführer seit seiner Verhaftung vom 14. August 2014, mithin seit rund 21 Monaten, in Gefängnissen und nicht in einer besser geeigneten Anstalt untergebracht ist, ist sie in der Lage zu beurteilen, ob und wie die Tagebucheinträge mit einer allenfalls mangelhaften Betreuung und Therapierung des Beschwerdeführers zusammenhängen. Dieser Umstand rechtfertigt daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht, das Tagebuch der gutachterlichen Beurteilung vorzuenthalten. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet (E. 2.3).

Ich hoffe, dieser Entscheid wird in der Lehre diskutiert werden, obwohl er nicht für die Amtliche Sammlung vorgesehen ist.