Dauertelefonbewilligung
Ein im Kanton Bern inhaftierter Untersuchungsgefangener hat die Staatsanwaltschaft um eine „Dauertelefonbewilligung“ für Gespräche mit seiner Anwältin ersucht. Im kantonalen Verfahren blieb er bzw. seine ausserkantonale Verteidigerin mit diesem doch reichlich naiven Antrag selbstverständlich ohne Erfolg. Das Bundesgericht greift nun aber durch (BGE 7B_1295/2024 vom 19.032025, Publikation in der AS vorgesehen) und heisst die Beschwerde reformatorisch gut. Der Entscheid zeigt wie wichtig es ist, dass Mandate auch von ausserkantonalen Verteidigerinnen geführt werden, die es wagen, gefestigte kantonale Regeln infrage zu stellen.
Das Obergericht BE hatte gemäss Bundesgerichtsentscheid wie folgt argumentiert, was einem Obergericht eigentlich nicht gerecht wird:
Die Vorinstanz führt aus, zwar könnten dem Beschwerdeführer mangels gegenteiliger Hinweise nicht generell wegen Kollusionsgefahr die Telefonate mit seiner Verteidigung verweigert werden. Doch sei nicht von der Hand zu weisen, „dass angesichts des Verbots der inhaltlichen Kontrolle der Gespräche zwischen inhaftierter Person und deren Verteidigung auf andere Weise sichergestellt werden müsste, dass die inhaftierte Person das von ihr – mutmasslich für das Gespräch mit der Verteidigung – genutzte Telefon nicht anderweitig verwendet“. Die Umsetzung einer Dauertelefonbewilligung für mandatierte Anwälte dürfte mit Blick auf die Vermeidung der genannten Missbrauchsgefahr „mit nicht unerheblichem Aufwand“ verbunden sein, weshalb der Einwand der Staatsanwaltschaft, wonach eine „Dauertelefonbewilligung“ den Gefängnisalltag erheblich behindern würde, „zumindest aktuell nicht kritisiert werden“ könne. „Darüber hinaus“ sei indessen „durchaus denkbar, dass künftig – aufgrund technischer Möglichkeiten und geänderter Bedürfnisse – ein gesteigertes Verlangen nach Dauertelefonbewilligungen für Telefonate mit der Verteidigung“ aufkommen könnte. (E. 6.3, Hervorhebungen durch mich).
Das Bundesgericht hat wenig Verständnis:
Diese Erwägungen vermögen nicht zu überzeugen, zumal die Vorinstanz selbst ausdrücklich eingesteht, ihr sei „nicht bekannt, wie (ausnahmsweise bewilligte) Telefongespräche mit der Verteidigung im Einzelfall praktisch umgesetzt werden“. In der Lehre wird überzeugend darauf hingewiesen, dass allfälligem Missbrauchspotential ohne grösseren Aufwand hinreichend begegnet werden kann, nämlich mittels behördlicher Vermittlung des Telefonanrufs der inhaftierten Person an die von der Verteidigung angegebene Rufnummer und durch – bereits heute ohne weiteres vornehmbare – technische Beschränkung der Möglichkeit der inhaftierten Person, selbständig eine (andere) Rufnummer zu wählen (ausführlich BOLL, a.a.O., S. 153; ebenso WOLFGANG WOHLERS, in: SK-StPO, Systematischer Kommentar zu Strafprozessordnung, Bd. III, 5. Aufl. 2016, N 36 zu § 148 StPO [DE]; vgl. auch Beschluss 2 BvR 988/10 des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 2012 E. 2/b/bb). Entsprechend lassen mehrere Kantone bzw. Haftvollzugsanstalten den telefonischen Verkehr zwischen der strafprozessual inhaftierten beschuldigten Person und ihrer Verteidigung grundsätzlich zu (siehe z.B. ausdrücklich Art. 63 Abs. 1 und 2 Règlement du 28.11.2018 sur le statut des personnes détenues placées en établissement de détention avant jugement du Canton de Vaud [RSDAJ; BLV 340.02.5]; § 65 Abs. 4 der Hausordnung für das Kantonalgefängnis Frauenfeld und das regionale Untersuchungsgefängnis Kreuzlingen vom 1.1.2022).
Im Übrigen ist der mit Telefonaten verbundene Aufwand für die Vollzugsbehörden zwingend in Relation zum Aufwand der Vollzugsbehörden zu setzen, der mit Gefängnisbesuchen der Verteidigung – als einzige verbleibende mündliche Kontaktmöglichkeit – verbunden ist (vgl. BOLL, a.a.O., S. 151 f.). Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Erwägungen der Vorinstanz, wonach es sich ihr nicht erschliesse, weshalb „regelmässige wöchentliche Telefonate mit der Verteidigung im konkreten Fall für die Wahrnehmung der in Bezug auf das Strafverfahren bestehenden Interessen des Beschwerdeführers nötig sein sollen“. Ob der durch Art. 235 Abs. 4 StPO garantierte freie Verkehr mit der Verteidigung konkret als notwendig erscheint, liegt im alleinigen Ermessen der inhaftierten Person (und ihrer Verteidigung) und ist – missbräuchliches Verhalten vorbehalten – nicht von den Strafverfolgungsbehörden zu beurteilen (vgl. BERLINGER, a.a.O., N. 53 zu Art. 235 StPO). Dies gilt ungeachtet des Umstands, ob eine Wahlverteidigung oder amtliche Verteidigung vorliegt, wobei Letztere aber naturgemäss nur für den objektiv gerechtfertigten Aufwand entschädigt wird (statt vieler BGE 141 I 124 E. 3.1 mit Hinweisen) [E. 6.3, Hervorhebungen durch mich].
Inwiefern war der Antrag „reichlich naiv“? Das Bundesgericht hat ihn ja gutgeheissen (E. 6.4 und Urteilsformel, 1.3) und stützt sich dabei auf mehrere Lehrmeinungen (E. 6.2).
Im Übrigen erweckt die abweisende dünne Begründung des Obergerichts BE den Eindruck, dass sie die wirksame Verteidigung behindern wollten – was beim überragenden Berner Obergericht Tradition hat.