Den eigenen Tod verpasst

Es kommt vor, dass der Sachverhalt interessanter ist als die rechtlichen Erwägungen. Zu diesen Fällen zähle ich den Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgeichts vom 21.08.2006 (1P.183/2006) zu Grunde liegt:

Gemäss Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vom 11. August 2004 wurde X. vorgeworfen, er habe vorgetäuscht, am 20. November 1999 in M.(Albanien) bei einem Verkehrsunfall ums Lebengekommen zu sein. Gestützt auf drei gefälschte amtliche Dokumente (je mit beglaubigter Übersetzung) und mit Hilfe seiner damaligen Ehefrau habe er in der Folge von verschiedenen Versicherungseinrichtungen Leistungen im Gesamtbetrag von gegen Fr. 430’000.– bezogen. Seiner damaligen Ehefrau habe er ausserdem gedroht, ihre Familienangehörigen zu ermorden und sie als Drahtzieherin der Versicherungsbetrüge zu bezeichnen, wenn sie ihm die Versicherungsleistungen nicht aushändige. […]. Der Beschuldigte bestritt, an der ihm vorgeworfenen Tat beteiligt gewesen zu sein. Er machte geltend, bis zu seiner vorübergehenden Verhaftungam 3. November 2000 keine Kenntnis davon gehabt zu haben, angeblich verstorben zu sein. Seine Ehefrau habe seinen Autounfall ausgenützt, um an die Versicherungsleistungen heranzukommen. Von ihrem Vorgehen habe er nichts gewusst. Erst während des Verfahrens seien ihm die Details bekannt geworden. Sie habe die Todesbescheinigungen fälschen lassen, während dem er als Folgedes Autounfalls im Spital im Koma gelegen habe. Dafür habe sie sich Dritter bedient, wobei ihr Beziehungen zu höchsten staatlichen Stellen zugute gekommen seien. Nach Auszahlung der Versicherungsleistungen habe sie die aktenkundigen Bankbezüge getätigt und einen Teil des Geldes verbraucht bzw. beiseite geschafft. Ihm selber habe sie insgesamt Fr. 15’000.– ausbezahlt und dazu erklärt, es handle sich um Leistungen im Zusammenhang mit einem Unfall, den sie früher erlitten hatte.

Der Beschwerdeführer scheiterte letztlich an der Plausibilisierung seiner Version bzw. an der geltend gemachten Verletzung der Unschuldsvermutung. Welche Anforderungen das Bundesgericht daran stelle, sei hier wieder einmal zitiert:

Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei der Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der Sachrichter vom für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung ein, da der Sachrichter diese in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips zuverlässiger beantworten kann (E. 2.2).

Im Ergebnis bedeutet dies, dass vor Bundesgericht praktisch die Unschuld zu beweisen ist, notabene ohne Nova. Erstens müssen sich Zweifel nach der objektiven Sachlage geradezu aufdrängen und zweitens auferlegt sich das Bundesgericht auch noch Zurückhaltung bei der Überprüfung. Diese doppelte Schwelle erscheint selbst für die staatsrechtlichen Beschwerde als zu hoch. Wenig überzeugend erscheint insbesondere, dass das Bundesgericht seine Zurückhaltung mit der Unmittelbarkeit des Hauptverfahrens begründet, die es in der Schweiz kaum mehr gibt.