Der Arzt als Polizeispitzel?
Das Bundesgericht stellt in einem beachtlichen Entscheid klar, dass der Arzt, der einem strikten bundesrechtlichen Berufsgeheimnis unterstellt ist, nicht durch kantonales Recht zum Polizeispitzel umfunktioniert werden darf (BGer 1B_96/2013 vom 20.08.2013). Zu entscheiden war über die Beschwerde einer Staatsanwaltschaft gegen ein bereits durch das Zwangsmassnahmengericht abgewiesenes Entsiegelungsgesuch. Zu entsiegeln waren gemäss Staatsanwaltschaft die Krankenakten eines Kleinkinds und seiner der schweren Körperverletzung verdächtigten Mutter.
Ob das kantonale Recht Ärzte über Art 253 Abs. 4 StPO hinaus generell verpflichten kann, Anzeichen für schwere Straftaten an die Strafverfolgungsbehörden zu melden, ist umstritten. Die Frage bleibt deshalb offen, weil das Bundesgericht feststellt, dass es im vorliegendne Fall gar nicht um eine solche Meldung ging, zumal die Staatsanwaltschaft bereits konkrete Anahltspunkte für den Verdacht der untersuchten schweren Körperverletzung hatte. Eine allgemeine Herausgabe- und Zeugnispflicht bestehe im anwendbaren kantonalen Recht ohnehin nicht:
Die Staatsanwaltschaft interpretiert § 27 Abs. 3 lit. b GesG/BS auch selbst nicht als blosse Anzeigepflicht, sondern als Verpflichtung des Arztes, sämtliche Patientendaten, die Krankengeschichte und die Behandlungsakten herauszugeben und über die Behandlung Zeugnis abzulegen. Eine solche pauschale ärztliche Auskunfts- und Editionspflicht im untersuchten Fall einer schweren Körperverletzung würde das Arztgeheimnis vollständig aushöhlen und wäre mit den dargelegten bundesrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Berufsgeheimnisse nicht vereinbar (E. 5.5).
Weiter stellt das Bundesgericht klar, dass sich aus Art. 321 Ziff. 3 StGB keine Kompetenz der Kantone ergibt, die Zeugnispflicht abweichend von Art. 171 Abs. 1 und 2 StPO zu regeln:
Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft ergibt sich auch aus Art. 321 Ziff. 3 StGB keine Kompetenz der Kantone, die strafprozessuale Zeugnispflicht abweichend von Art. 171 Abs. 1-2 StPO zu regeln oder das Arztgeheimnis bei untersuchten Fällen schwerer Körperverletzung und anderer Straftaten gar vollständig abzuschaffen (vgl. Art. 49 Abs. 1 i.V.m. Art. 123 Abs. 1 BV). Art. 321 Ziff. 3 StGB ist gegenüber Art. 171 StPO der ältere und (betreffend strafprozessuale Zeugnis- und Editionspflichten) weniger spezifische Erlass. Art. 321 Ziff. 3 StGB wurde erlassen und formuliert, als noch (die dort ausdrücklich erwähnten) kantonalen Strafprozessgesetze galten, denen die verfassungsrechtliche Praxis und Rechtslage grosse Gestaltungsfreiheit zugestand. Diese wurde seither durch Art. 123 BV und Art. 171 StPO eingeschränkt. Im Übrigen werden die einschlägigen strafprozessualen Bestimmungen der StPO auch in Art. 321 Ziff. 3 StGB ausdrücklich “vorbehalten”. Die Frage der Zulässigkeit einer allfälligen (konkreten) Zeugnisverweigerung durch den betroffenen Arzt (anlässlich einer Befragung) bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheides (vgl. Art. 174 StPO). Dass die Vorinstanz § 27 Abs. 3 GesG/BS nicht als “Anzeigepflicht” im Sinne von Art. 171 Abs. 2 lit. a StPO (i.V.m. Art. 264 Abs. 1 lit. c und Art. 248 Abs. 1 StPO) interpretiert hat, sondern als darüber hinausgehende Auskunfts- und Editionspflicht, ist bundesrechtskonform (E. 5.6).
Die Abweisung des Entsiegelungsgesuchs durch die Vorinstanz erwies sich somit als richtig, weil weder eine Entbindung noch eine gesetzliche Ausnahme vom Arztgeheimnis bestand.