Der damalige Verteidiger …
in einem ausserordentlich umfangreich begründeten Urteil weist das Bundesgericht die Beschwerde eines zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilten Mörders in allen Punkten ab (BGE 6B_800/2016 vom 25.10.2017, Publikation in der AS vorgesehen.
Der Entscheid behandelt mehrere wichtige Fragen. Publiziert wird er wohl wegen den Erwägungen zum Teilnahmerecht und zu den Folgen medialer Vorverurteilung, aber das sind reine Vermutungen.
Im Zusammenhang mit der Medienberichterstattung weist das Bundesgericht darauf hin, dass Richter in Abweichung anthropologischer Konstanten unbeeinflussbar sind:
Die Vorinstanz verweist in diesem Kontext zu Recht darauf, dass von den Mitgliedern des Gerichts erwartet werden darf, dass sie zwischen der medialen, gegebenenfalls gar reisserischen Aufbereitung eines Falles und dessen strafrechtlicher Beurteilung aufgrund der Akten zu unterscheiden und die Sache mit der nötigen Professionalität und Unvoreingenommenheit zu behandeln wissen.
Ich würde das von einem Richter nicht erwarten, weil es m.E. schlicht nicht erwartet werden kann. Das dann umso mehr, wenn Richter Kopien dieser Artikel zu den Akten nehmen, was die Verteidigung im vorliegenden Fall erfolglos moniert hat.
Bei den Teilnahmerechten weist das Bundesgericht u.a. darauf hin, dass die Polizei auch nach Eröffnung der Untersuchung selbständig – und unter Ausschluss der Teilnahmerechte – untersuchen darf:
Nach der Rechtsprechung kann die Polizei indessen auch nach Eröffnung der Untersuchung und ohne formelle Delegation durch die Staatsanwaltschaft einfache Erhebungen zur Klärung des Sachverhalts vornehmen; formelle polizeiliche Einvernahmen zur Sache können indes nur bei entsprechender Delegation durchgeführt werden (Urteil 6B_217/2015 vom 5. November 2015 E. 2.2, nicht publ. in BGE 141 IV 4.2.3). Einfache Erhebungen der Polizei zur Klärung des Sachverhalts, namentlich zur Ermittlung von Geschädigten und Zeugen etc. und deren informatorische Befragung, namentlich zur Abklärung, ob diese beweisrelevante Angaben zum Sachverhalt machen können, sind mithin weiterhin möglich (SCHMID, a.a.O., N. 1233 FN 81; vgl. auch ULRICH WEDER, Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen, forumpoenale 2016, S. 284). Im Übrigen ist die Polizei nicht verpflichtet, von sich aus eine Verteidigung aufzubieten oder zur Einvernahme einzuladen (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1194; GUNDHILD GODENZI, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, hrsg. von Donatsch et al., 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 159) [E. 3.4.2].
Das Gros der Rügen weist das Bundesgericht mit Hinweis darauf ab, dass der damalige Verteidiger auf die Teilnahmerechte verzichtet hat:
Soweit der frühere Verteidiger auf die Teilnahmerechte gültig verzichtet hat, widerspricht es mithin dem Gebot von Treu und Glauben, durch den neuen Verteidiger die Verletzung eben dieser formellen Rechte zu rügen (vgl. BGE 138 I 97 E. 4.1.5; Urteil 6B_214/2011 vom 13. September 2011 E. 4.1.3). Die gilt jedenfalls insoweit, als nicht ein eklatanter Verstoss gegen allgemein anerkannte Verteidigerpflichten vorliegt (vgl. BGE 138 IV 161 E. 2.4; 6B_307/2016 vom 17. Juni 2016 E. 2.2), welche den Richter aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, das zur Gewährleistung einer genügenden Verteidigung Erforderliche vorzukehren (Urteil 6B_89/2014 vom 1. Mai 2014 E. 1.5.1). Dass dem so wäre, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich (E. 3.4.2).
Ob der Beschwerdeführer auch gerügt hat, im kantonalen Verfahren nicht wirksam verteidigt worden zu sein, ist nicht ersichtlich. Das müsste ja dann aber mit Aussicht auf Erfolg möglich sein.
“3.3.1. Bei polizeilichen Einvernahmen richtet sich die Anwesenheit der Verteidigung nach Art. 159 StPO. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung hat die beschuldigte Person das Recht, dass ihre Verteidigung, nicht aber sie selbst, bei Beweiserhebungen durch die Polizei, etwa bei polizeilichen Einvernahmen von Auskunftspersonen, anwesend sein und Fragen stellen kann.” Diese Erwägung ist völlig verfehlt, gilt doch die Bestimmung von Art. 159 StPO nur für Einvernahmen der beschuldigten Person (vgl. Titel für das 2. Kapitel).
Fragwürdig und einseitig ist die folgende Erwägung (3.3.1): “Auf die Teilnahme kann vorgängig oder auch im Nachhinein ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet werden, wobei der Verzicht des Beschuldigten auch von seinem Verteidiger ausgehen kann.” Das Bundesgericht verschweigt hier nämlich Lehrauffassungen, wonach die Verteidigung auf die persönliche Anwesenheit des Beschuldigten ohne dessen Einverständnis nicht wirksam verzichten kann (Donatsch et al., Kommentar StPO, 2014, Art. 147 N 8; Goldschmid et al., Kommentar StPO, 2008, S. 136).
Das Bundesgericht wendet seinen Leitentscheid 139 IV 25 (Problematik der Zulassung von noch nicht einvernommenen Beschuldigten zu den Einvernahmen von Mitbeschuldigten ) nun ausdrücklich auch auf Opferzeugen an. Interessant.