Der erfahrene Anwalt als Massstab?
Nach der Praxis des Bundesgerichts richtet sich die Frage des entschädigungspflichtigen Aufwands nach dessen Notwendigkeit.
Massstab hierfür ist der „erfahrene Anwalt“ (BGer 6B_824/2016 vom 10.04.2017; Fall Walker):
Der amtliche Anwalt erfüllt eine staatliche Aufgabe. Mit seiner Einsetzung entsteht zwischen ihm und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Der amtliche Anwalt hat eine öffentlich-rechtliche Forderung auf Entschädigung und Rückerstattung seiner Auslagen gegen den Staat, welche sich aus Art. 29 Abs. 3 BV herleitet. Dieser Anspruch umfasst aber nicht alles, was für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten von Bedeutung ist. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht nur, „soweit es zur Wahrung der Rechte notwendig ist“. Nach diesem Massstab bestimmt sich der Anspruch sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht, d.h. in Bezug auf den Umfang der Aufwendungen. Entschädigungspflichtig sind danach nur jene Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stehen, und die notwendig und verhältnismässig sind (BGE 141 I 124 E. 3.1 S. 126 mit Hinweisen).
Als Massstab bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Verteidigung im Strafverfahren nötig ist, hat der erfahrene Anwalt zu gelten, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (Urteil 6B_264/2016 vom 8. Juni 2016 E. 2.4.1 mit Hinweisen) [E. 18.3.1].
Nebst der Erfahrung braucht der Anwalt fundierte Kenntnisse des Rechts und die Gabe, von Anfang an zielgerichtet und effizient zu arbeiten. All das zu beurteilen ist dann Sache von Richtern, die nie als Anwälte tätig waren oder die Erfahrung zufolge Wahl an ein Gericht nie erlangen konnten.
Konsequenterweise müsste man dann auch für die Stundenansätze den „erfahrenen Anwalt“ zum Massstab nehmen. Das will man aber natürlich auch nicht.
Denkanstoss: Darf ein unerfahrener Anwalt, der über keinerlei Kenntnisse im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts verfügt und deshalb seine Leistungen nicht zielgerichtet und nicht effizient erbringen kann, überhaupt ein entsprechendes Mandat übernehmen? -> Sorgfaltspflicht?
Natürlich nicht. Übernahmeverschulden.
Die ganze Fragen um die Entschädigung der Verteidigung können im gegenwärtigen System nicht befriedigend gelöst werden. Die Justiz greift dort ein, wo sie eingreifen kann. und das ist nun mal die Seite der Verteidigung, und das zudem ex post. Die Justiz hat keine geeigneten Mittel gegen Untersuchungen, die nicht zielgerichtet geführt werden und die Kosten in die Höhe treiben. Selbst in einem solchen Fall kann sie ja nur bei der Verteidigung kürzen. Das wird sie dann wahrscheinlich auch tun, denn ein erfahrener Verteidiger sieht sofort, welche Ermittlungsansätze verteidigungswürdig sind und welche nicht. Und wenn er es nicht sieht kann er ja seinen Mandanten fragen.
Genau. Bevor sich jemand untersteht, für ein Richteramt zu kandidieren, soll er/sie sich gefälligst darüber ausweisen, dass er/sie jahrzehntelang in der Provinz anwaltlich tätig war und dabei sämtliche Kniffs im Zusammenhang mit Kostennoten als StrafverteidigerIn verinnerlicht hat. Als da z.B. sind: Wöchentliche Besuche des Klienten im vozeitigen Strafvollzug mit Überbringen von frischer Wäsche/Toilettenartikeln, Betreuung des ganzen Clans des Klienten, der durch dessen unerwartete Verhaftung traumatisiert ist, Organisation des Wohnungsumzuges der Freundin des Klienten, Organisation von Medienkampagnen (zB Pressekonferenzen), private Ermittlungen auf eigene Faust (zB durch Privatdetektive) – alles Beispiele aus der Praxis übrigens. Und nach einer allfälligen Wahl soll sich der Richter/die Richterin ja nicht unterstehen, Kostennoten von ehemaligen Kollegen/Kolleginnen anzutasten. Ja, genau so hat sich das von einer beispiellosen Medienkampagne vergelsterte, mehrheitlich aus Laien bestehende Obergericht Uri im unsäglichen Fall Walker verhalten und eine Kostennote des umtriebigen und mediengewandten (um nicht einen ordinäreren Ausdruck zu verwenden) Verteidigers in der Höhe von satten CHF 111’408.50 kommentarlos durchgewinkt. Und dies wohlverstanden nur für das zweite Berufungsverfahren, in dem es lediglich noch um wenige offene Fragen ging und sämtliche Akten dem Verteidiger bereits bestens bekannt waren (im ersten, wesentlich aufwändigeren Berufungsverfahren waren es noch CHF 40’000.00 gewesen). Und jetzt hat sich das Bundesgericht erdreistet, hier einzugreifen – unerhört.