Der fotografierende Verteidiger
In einer per Video übertragenen Opferbefragung hat der Anwalt des Beschuldigten den Bildschirm fotografiert. Damit wollte er beweisen, dass auf der Videoübertragung der Einvernahme zur Identifikation des Täters nur das Opfer, nicht aber die befragende Person erkennbar sei, weshalb nicht ausgeschlossen werden könne, dass die befragende Person das Opfer bei der Vorlage von Fotos zur Identifikation des Täters beeinflusst habe. In der Folge wurde der Verteidiger aufgefordert, das Fotografieren einzustellen und das Speichermedium seiner Kamera der Staatsanwaltschaft auszuhändigen.
Anwalt und Klient haben sich gegen die Herausgabepflicht bis vor Bundesgericht gewehrt, das dann aber mit folgendem „Argument“ nicht eintrat (BGer 1B_16/2019 vom 16.04.2019):
Die Staatsanwaltschaft bestreitet indessen gar nicht, dass auf der Videoübertragung die befragende Person nicht erkennbar war, hält aber dafür, dass dadurch die Teilnahmerechte des Beschuldigten gemäss Art. 147 StPO nicht unzulässig geschmälert worden seien (…). Wie es sich damit verhält, braucht hier nicht entschieden zu werden. Fest steht jedenfalls, dass der Sachverhalt, den die Beschwerdeführer mit den Fotos beweisen wollen, gar nicht strittig ist. Insofern erwächst ihnen im Strafverfahren von vornherein kein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur, wenn sie den Speicher mit diesen Aufnahmen der Staatsanwaltschaft übergeben müssen (E. 1.3, Hervorhebungen durch mich).
Die Engländer würden das als „agreed fact“ bezeichnen. Im schweizerischen Strafprozessrecht gibt es das jetzt offenbar auch. Es gilt die Verhandlungsmaxime. Aber egal. Der Verteidiger hat sein Ziel erreicht.
Was mir nicht einleuchtet ist hier, wieso sich der Verteidiger nicht im Befragungsraum sitzen durfte.
Ziel leider nur teilweise erreicht. Darf (und muss) eine Verteidigung das, was sie an einer parteiöffentlichen Beweiserhebung wahrnimmt, nicht mit dem besten Mittel abstreitungssicher festhalten? (hier: Foto, das eine fragwürdige Beschränkung des Teilnahmerechts so beweist, dass sie sich nachher nicht abstreiten lässt). Darf die Staatsmacht Verteidigungen ein Werkzeug wegnehmen, das parteiöffentliche Vorgänge zuverlässig dokumentiert? Dient das der Wahrheitsfindung, die im Strafprozess kontradiktorisch erfolgen soll? Diese grundlegenden Fragen hat das Bundesgericht leider nicht beantwortet.