Der Gerichtspräsident als Haftrichter
Nicht der Staatsanwalt, sondern die Verfahrensleitung des erstinstanzlichen Gerichts ist berechtigt, beim Haftrichter Antrag auf Verlängerung von Sicherheitshaft zu stellen. Dass die Verfahrensleitung damit ihre Unabhängigkeit m.E. verlieren muss, erkennt das Bundesgericht bekanntlich nicht an. Diese Rechtsprechung soll nun sogar im Kanton BS gelten, wo die Aufgaben des Zwangsmassnahmengerichtes turnusmässig von Strafgerichtspräsidentinnen und -Präsidenten als Einzelgericht wahrgenommen werden (BGer 188/2012 vom 19.04.2012):
Der Sinn und Zweck sowie die Systematik des Gesetzes bzw. die unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben der Strafjustizbehörden sprechen für die Auffassung der Vorinstanzen (vgl. im Ergebnis auch Urteil des Bundesgerichtes 1B_386/2011 vom 26. August 2011 E. 3.6). Während des Vorverfahrens (bis zur Einstellung oder Anklageerhebung) hat die Staatsanwaltschaft die Verfahrensleitung inne, weshalb sie insbesondere zur Antragsstellung betreffend Verlängerung der Untersuchungshaft zuständig ist (Art. 16 Abs. 2 und Art. 61 lit. a i.V.m Art. 227 Abs. 2 StPO). Nach Eingang der Anklageschrift beim erstinstanzlichen Gericht geht hingegen die Prozessleitung auf die Präsidentin oder den Präsidenten des Gerichts über (bzw. auf die jeweilige Einzelrichterin oder den Einzelrichter; Art. 61 lit. c-d i.V.m. Art. 198 Abs. 1 lit. b, Art. 328 Abs. 2 und Art. 330 f. StPO). Mit der Anklageerhebung erhält die Staatsanwaltschaft förmliche Parteistellung (Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO). Gleichzeitig gibt sie die Verfahrensleitung an das zuständige Gerichtspräsidium ab. Dementsprechend sind Gesuche (der Staatsanwaltschaft oder der beschuldigten Person) um Entlassung aus der Sicherheitshaft an die Verfahrensleitung des erstinstanzlichen Gerichtes zu richten (Art. 230 Abs. 2 StPO). Auch kann Letztere Haftentlassungen verfügen bzw. hat sie streitige Gesuche und Verfügungen an das Zwangsmassnahmengericht zum Entscheid zu überweisen (Art. 230 Abs. 3-4 StPO). Schliesslich ist es ebenso das erstinstanzliche Gerichtspräsidium, welches beim Zwangsmassnahmengericht die erstmalige Anordnung von Sicherheitshaft beantragt (Art. 229 Abs. 2 StPO). Und auch im Rechtsmittelverfahren kann die Verfahrensleitung Haft als vorsorgliche Massnahme anordnen (Art. 388 lit. b StPO). Mit der verfahrensleitenden Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer von prozessualen Zwangsmassnahmen bzw. mit einem entsprechenden Antrag an das Zwangsmassnahmengericht wird das mit der Strafsache betraute Gerichtspräsidium nicht in bundesrechtswidriger Weise vorbefasst oder gar zur “Gegenpartei” des Angeklagten (vgl. BGE 117 Ia 372 E. 2c S. 374; s. auch BGE 131 I 113 E. 3.7.1 S. 120). Dass im Kanton Basel-Stadt die Aufgaben des Zwangsmassnahmengerichtes turnusmässig von Strafgerichtspräsidentinnen und -Präsidenten als Einzelgericht wahrgenommen werden (vgl. § 15 EG StPO/BS i.V.m. Art. 14 StPO), ändert daran grundsätzlich nichts, zumal unzulässige Vorbefassungen durch geeignete Ausstandsregelungen im Einzelfall vermieden werden können (vgl. Art. 18 Abs. 2 StPO) [E. 2.3].
Die Crux liegt hier wohl in der Gerichtsorganisation des Kantons, die mir als sehr problematisch erscheint. Ein Fall für Strassburg?
Auch dies wieder ein Problem, das sich erst aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts (entgegen h.L. und Gesetzestext) ergab, wonach die Sicherheitshaft analog der U-Haft alle drei Monate zu überprüfen sei. Hätte dies nun immer auch noch den Ausstand der jeweiligen Verfahrensleitung zur Folge, wären solche Verfahren gar nicht mehr innert nützlicher Frist zu bewältigen. Insofern ist der Entscheid des BGer. folgerichtig und zu begrüssen. Zu überlegen gewesen wäre m.E. aber tatsächlich, ob für den Antrag auf Verlängerung der Sicherheitshaft nicht eher (dann halt ebenfalls wieder einmal contra legem) die Staatsanwaltschaft hätte zuständig erklärt werden sollen, dann hätten sich alle Ausstandsfragen restlos erübrigt.