Der Klügere gibt nach …
… und der Klügere kommt in diesem Fall aus Lausanne. Das Bundesgericht behandelt nun nämlich eine Beschwerde, die es eben erst noch unter heftiger Kritik in der Lehre zurückgewiesen hatte (s. dazu meinen damaligen Beitrag zu BGer 1B_595/2011 vom 21.03.2012). Anlass zum neuen Entscheid gab die Tatsache, dass sich auch das Obergericht des Kantons Thurgau für unzuständig erklärte. Darüberhinaus machte es geltend, an das Urteil des Bundesgerichts nicht gebunden zu sein, da es sich dabei um einen “Weiterleitungsentscheid” handle.
Der Entscheid des Obergerichts TG ist mit meinem staatsrechtichen Verständnis absolut unvereinbar. Das Bundesgericht behandelt die Ungeheuerlichkeit aus dem Kanton Thurgau in sachlicher Zurückhaltung als negativen Kompetenzkonflikt, indem es unter Hinweis auf die Dringlichkeit eines Entscheids nun doch selbst in den (gar nicht so) sauren Apfel beisst (BGer 1B_397/2012 vom 10.10.2012, BGE-Publikation vorgesehen). Die prozessualen Unwägbarkeiten löst es, indem es davon ausgeht, die alte Beschwerde sei nach wie vor bei ihm hängig:
Nach dem Nichteintretensentscheid des Obergerichtes ist die Beschwerde gegen den Entsiegelungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 16. September 2011 sowie die prozessleitende Zwischenverfügung vom 3. März 2011 weiterhin beim Bundesgericht hängig (E. 1).
In der Sache prüft das Bundesgericht zunächst den erforderlichen “hinreichenden” Tatverdacht, den es unter Hinweis auf seine beschränkte Kognition in Sachverhaltsfragen unter Hinweis auf ein sachlich konnexes Verfahren (BGer 1B_27/2012 vom 27. Juni 2012 E. 7.6) ohne Weiteres bejaht. Mit den in der Lehre diskutierten Fragen um den erforderlichen Verdachtsgrad setzt es sich nicht auseinander.
Willkürliche Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs) sind in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin hatte (auch im vorliegenden Verfahren) ausreichend Gelegenheit, sich zu den von den kantonalen Behörden dargelegten Verdachtsgründen zu äussern. Spezifische Fragen der Beweiswürdigung sind nicht im Entsiegelungsverfahren abschliessend zu beurteilen, sondern – im Falle einer strafrechtlichen Anklage – vom erkennenden Strafgericht (E. 5.4).
Anschliessend hat das Bundesgericht geprüft, ob geschützte Berufsgeheimnisse der Entsiegelung entgegenstehen. Es ging konkret um Anwaltsakten von “delegierten” Anwälten:
Der in der Beschwerde vertretenen Ansicht, selbst wenn die fraglichen Anwälte von ihrem mitbeschuldigten Kollegen substituiert worden wären, gelte zugunsten der Substituten ein Beschlagnahmeverbot, kann jedoch nicht gefolgt werden. Ein in der Sache selbst mitbeschuldigter Anwalt kann untersuchungsrelevante Beweisunterlagen aus dem Mandatsverhältnis (insbesondere seine eigene Korrespondenz mit der Mandantschaft) nicht dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörde entziehen, indem er einfach Büropartner mit dem Fall substituiert. Solches widerspräche offensichtlich dem Sinn und Zweck von Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO. Analoges gilt für die Einschaltung von ausländischen Korrespondenzanwälten zur Unterstützung des vom mitbeschuldigten Anwalt selbstständig geführten Mandats. Anders zu entscheiden wäre bei unabhängigen (originären) Mandatsverhältnissen der Beschwerdeführerin mit nicht beschuldigten Anwälten (im In- oder Ausland) in nicht untersuchungsrelevanten Sachbereichen. Dass solche Mandate von der Entsiegelung betroffen wären, wird von ihr nicht konkret dargetan (E. 6.3).
Nach Fragen der Deliktskonnexität von zu entsiegelnden Aktenstücken musste sich das Bundesgericht noch mit Kostenfragen beschäftigen. Es schloss, dass es einstweilen nicht zulässig sei, der beschuldigten Person Kosten des Entsiegelungsverfahrens aufzuerlegen:
Die Bestimmungen von Art. 423 Abs. 1 i.V.m. Art. 426 bzw. Art. 428 StPO gelten auch für das Entsiegelungsverfahren (Art. 416 i.V.m. Art. 421 Abs. 2 lit. a StPO). Art. 428 StPO, welcher die Kostentragung im StPO-Rechtsmittelverfahren regelt, ist auf erstinstanzliche Entscheide nicht anwendbar. Damit besteht in der vorliegenden Konstellation keine gesetzliche Grundlage (im Sinne von Art. 423 Abs. 1 StPO) für die Auferlegung von Verfahrenskosten an die Beschwerdeführerin als beschuldigte Person (vgl. auch BGE 132 I 117 E. 7.4 S. 125). Eine Auferlegung von Verfahrenskosten an sie kommt erst nach Abschluss der Strafuntersuchung (nach Massgabe von Art. 426 StPO) in Frage. Bis dahin hat gemäss Art. 423 Abs. 1 StPO der Kanton die angefallenen Verfahrenskosten zu tragen (E. 8.2).
Wieso dieser Entscheid in die Amtliche Sammlung aufgenommen wird, weiss ich nicht. Grundsätzlich erscheint nur das letzte Zitat zu den Kosten als publikationswürdig. Alles andere lässt die schweizerische Justiz in einem schiefen Licht erscheinen. Zu hoffen bleibt, dass die pragmatische Lösung des Bundesgerichts nicht ungerechtfertigt auf dem Buckel der Betroffenen ausgetragen wird. Das wäre dann der Fall, wenn die Entsiegelung, die eher zur Nebensächlichkeit verkommen ist, zu Unrecht erfolgt wäre.
Aha, und der Gesetzgeber ging mal davon aus, dass das Entsiegelungsverfahren innerhalb von einem Monat erledigt sein soll (Art. 248 Abs. 3 StPO). Die wurde an der Wirklichkeit vorbei-legifertiert.