Der lange Arm der Kantonspolizei Zürich
Labeo berichtet hier über einen interessanten Rechtshilfefall (der eigentlich gar kein Rechtshilfefall ist), den das Bundesgericht kürzlich entschieden hat (Urteil 1B_87/2007 vom 22.06.2007).
Gegen den Beschwerdeführer, der sich in der Dominikanischen Republik aufgehalten hatte, bestand ein internationaler Haftbefehl. Eine Auslieferung kam mangels entsprechenden Vertrags nicht in Frage. Die Dominikanischen Behörden haben aber darüber informiert, dass der Beschwerdeführer verhaftet wurde und ausgeschafft werden soll. Diese Gelegenheit ergriff die Kantonspolizei Zürich und “begleitete den Beschwerdefüherer nach Zürich, wo er dann verhaftet wurde. Darin erblickte der Beschwerdeführer eine völkerrechtswidrige Entführung. Hier der vom Bundesgericht festgestellte Sachverhalt:
Am Morgen des 19. August 2006 holten Beamte von Interpol Santo Domingo den Beschwerdeführer aus dem dortigen Gefängnis ab. Sie brachten ihn zunächst in die Büros von Interpol Santo Domingo und dann mit einem Polizeifahrzeug zum Flughafen. Während eines Zwischenhalts bei einem Hotel in der Nähe des Flughafens stiessen die drei Beamten der Kantonspolizei Zürich mit einem weiteren Wagen hinzu. Die Fahrt zum Flughafen wurde mit zwei Fahrzeugen fortgesetzt. Am Flughafen angekommen, klärte der Einsatzleiter der Gruppe der Kantonspolizei Zürich den Beschwerdeführer über die Identität und Funktion der Gruppe auf. Er teilte dem Beschwerdeführer mit, er sei wegen gewerbsmässigen Betrugs ausgeschrieben, werde nun den schweizerischen Behörden übergeben und in die Schweiz zurückbegleitet. Die schweizerischen Beamten legten keinen Haftbefehl vor, brachten aber zum Ausdruck, dass der Beschwerdeführer sich mit der Übergabe im Gewahrsam der schweizerischen Polizei befinde. Der Beschwerdeführer wurde dann in Anwesenheit von Beamten der Polizei der Dominikanischen Republik zum Flugzeug geführt und über Madrid nach Zürich gebracht. Dabei war der sich kooperativ verhaltende Beschwerdeführer nicht gefesselt. Nach der Ankunft in Zürich am 21. August 2006 übergaben ihn die begleitenden Beamten am Flughafen an die Kantonspolizei Zürich, die ihm mitteilte, er sei nun verhaftet.
Das Bundesgericht schloss, dass daran nichts auszusetzen sei. Nach einer Auseinandersetzung mit früheren Urteilen gelangte es zu folgendem Schluss:
Entscheidend ist, dass die Schweiz die Souveränität der Dominikanischen Republik beachtet und weder Zwang, List, Drohung noch sonstwie einen “üblen Polizeitrick” (Martin Schubarth, Faustrecht statt Auslieferungsrecht?, Strafverteidiger 7/1987, S. 175) angewandt hat, um des Beschwerdeführers habhaft zu werden. Bei dieser Sachlage ist ein Hafthinderungsgrund zu verneinen. Wie Hans Schultz ausführt, muss der Staat, gerade wenn er Recht sprechen und demjenigen Strafe auferlegen will, der gegen das Recht verstiess, sich davor hüten, dass seinem Verfahren Unrecht anhafte. Nicht der Grundsatz, dass auf welche Weise auch immer jeder möglicherweise Schuldige zur Rechenschaft gezogen werden kann, ist die oberste Maxime wirklicher Strafrechtspflege, sondern der richtige Leitsatz lautet, dass die strafrechtliche Verantwortung nur den Grundsätzen des Rechts folgend geltend gemacht werden soll. Es gilt der Satz: Ex iniuria ius non oritur (Male Captus bene iudicatus?), SJIR 24/1967, S. 83).
Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Nach dem Gesagten haben die schweizerischen Behörden jedoch kein Unrecht begangen, um den Beschwerdeführer verhaften und ihn – wie die Mitangeschuldigten – dem hiesigen Strafverfahren zuführen zu können. Wesentlich ist der gute Glaube der schweizerischen Behörden (Schultz, a.a.O., S. 73). Dafür, dass ihnen dieser gefehlt hätte, enthalten die Akten keine Anhaltspunkte (E. 2.6).
Der vom Bundesgericht festgestellte Sachverhalt ist mir nicht ganz geheuer. Danach wusste der Beschwerdeführer vor dem Abflug nur, dass er sich im Gewahrsam der Zürcher Polizisten befand, nicht aber, dass er in Zürich verhaftet würde. Wäre er wirklich so kooperativ gewesen, wenn er dies gewusst hätte? Ist er faktisch nicht bereits vor dem Abflug verhaftet worden? Wurde er da über seine Rechte aufgeklärt? Ist das ganze vielleicht nicht doch ein Polizeitrick gewesen?
Da bin ich froh, dass das Ganze auch Juristen nicht “ganz geheuer” ist, denn beim lesen eines entsprechenden Artikels in einer Zeitung ging mir genau dasselbe durch den Kopf. Wenn das BG festellt, dass die Schweiz (und somit die Polizisten) “weder Zwang, List, Drohung noch sonstwie einen “üblen Polizeitrick” [..] angewandt hat”, so frage ich mich auch, wieso sonst der Angeschuldigte dann freiwillig zusammen mit den Polizisten das Flugzeug bestiegen hat.
Einziger Grund für den Angeschuldigten könnte allenfalls der nicht sehr luxuriöse Gefängnisaufenthalt in Santo Domingo gewesen sein. Allerdings dürften die Schweizer Polizisten den Angeschuldigten wohl nicht darüber aufgeklärt haben, dass sie womöglich gar keine Rechtsgrundlage haben, ihn in die Schweiz zurückzuführen…
Der Mann wurde nicht von den Schweizer Behörden (der ZH Kantonspolizei) zurückgeführt.
Er wurde von den Behörden der Dom. Rep. gezwungen, das Flugzeug zu besteigen (da er aus dem Land ‘ausgeschafft’ wurde). Der Zwang, mit den Zürcher Polizisten zusammen das Flugzeug zu besteigen, war ein indirekter (der Mann wusste einfach DIESES bewusste Flugzeug besteigen); der Zwang ging von den Dom. Rep.-Behörden aus, welche in ihrem eigenen Land dazu natürlich berechtigt sind.