Der SMS-Beweis

Das Bundesgericht weist eine Beschwerde gegen eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung ab, die sich auf eine nicht konfrontierte polizeiliche Einvernahme der Geschädigten sowie auf unsorgfältig und unvollständig übersetzten SMS-Verkehr stützte (BGer 6B_300/2010 vom 16.09.2010). Die Begründung des Urteils überzeugt mich in mehreren Punkten nicht.

Dass der Konfrontationsanspruch im vorliegenden Fall nicht absolut gilt, begründet das Bundesgericht wie folgt:

Unbestritten ist, dass die Einvernahme der Geschädigten als Zeugin keine genügende Konfrontationseinvernahme darstellt. Die Geschädigte gab wiederholt zu Protokoll, sie habe schon alles gesagt, was sie zu sagen habe. Als ihr die Staatsanwältin ihre früheren (polizeilichen) Aussagen auszugsweise Satz für Satz vorhielt, wich sie einer Antwort aus oder bestätigte die Richtigkeit lediglich mit einem „Ja“. Da der Geschädigten ärztlich wiederholt Verhandlungsunfähigkeit attestiert wurde, konnte die Einvernahme nicht wiederholt werden (…). Die Geschädigte ist mithin aus Gründen, welche die Strafverfolgungsbehörden nicht zu vertreten haben, einvernahmeunfähig geworden. Der Anspruch des Beschwerdeführers, der Geschädigten Fragen zu stellen, gilt somit nicht absolut (…, E. 3.5).

Demnach reichen wiederholte ärztliche Atteste über die „Verhandlungsunfähigkeit“, um als „dauernd einvernahmeunfähig“ im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu gelten. Im nächsten Absatz derselben Erwägung steht dann aber,  die Geschädigte habe die Ergänzungsfragen des Beschwerdeführers beantwortet. Unter diesen Umständen kann ich nicht erkennen, wieso die Konfrontation ungenügend gewesen sein soll.

Jedenfalls erblickte die Vorinstanz im unvollständig und unsorgfältig übersetzten SMS-Verkehr zu Recht ein gewichtiges Beweismittel, das ein die Aussagen der Geschädigten stützendes Indiz gegen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr darstelle. Zudem seien die Aussagen des Beschwerdeführers unglaubhaft:

Die Vorinstanz legt in ihrer umfassenden Beweiswürdigung dar, weshalb der SMS-Verkehr zwischen den Beteiligten geeignet ist, die Aussagen beweismässig zu stützen. Dabei beachtet sie, dass die Auflistung und Übersetzung der Mitteilungstexte nur unsorgfältig und unvollständig vorgenommen worden ist (…). Die Vorinstanz wertet als Indiz für einen nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, dass die Geschädigte unmittelbar vor der inkriminierten Tat sexuell mit B. verkehrte, sich dabei ein Hämatom an der Brust zuzog, und über die anschliessende Kurzmitteilung von B. verärgert war. Schliesslich führt die Vorinstanz aus, weshalb sie die Aussagen des Beschwerdeführers als unglaubhaft erachtet (…, E. 3.5).

Wichtig ist offenbar nur, dass die Vorinstanz die Mängel des Beweises erkennt. Wenn sie sie aber erkennt, darf sich  auch auf unvollständig und unsorgfältig erhobene Beweismittel abstellen.

Im theoretischen Teil erinnert das Bundesgericht daran, was zu beachten ist, wenn eine Konfrontation nicht möglich ist:

In diesen Fällen ist nach Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK erforderlich, dass der Beschuldigte zu den belastenden Aussagen hinreichend Stellung nehmen kann, diese sorgfältig geprüft werden, und der Schuldspruch nicht allein darauf abgestützt wird (BGE 131 I 476 E. 2.2. S. 480 f.; Urteil 6B_583/2009 vom 27. November 2009 E. 2.2, je mit Hinweisen) (E. 3.1).

Es gibt sie also tatsächlich: Fälle, in denen belastende Aussagen „sorgfältig geprüft“ werden müssen. Redlicher wäre wohl, den Konfrontationsanspruch als Verfahrensgarantie einfach über Bord zu werfen.