Der Staatsanwalt als Disziplinarbehörde
Das Bundesgericht (BGer 1B_196/2010 vom 18.11.2010) weist die Beschwerde eines Anwalts ab, der von der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren wegen unnötig verletzender Äusserungen über die Gegenpartei (Strafantragstellerin) diszipliniert wurde (ungebührliches Verhalten, § 18 StPO/SO).
Er hat die Strafantragstellerin als “zwielichtig agessiv” bezeichnet und ihren Namen jeweils ohne Anrede oder Vorname erwähnt (“die Z. …”). Im Zusammenhang mit einem vermintlichen Armenrechtsgesuch bezeichnete er den Mann der Strafantragstellerin als Boni-Banker der Crédit Suisse Olten. Das (vermeintliche) Gesuch zeige “die ganze Schäbigkeit dieser Leute”.
Das Bundesgericht hält zunächst fest, wo die Grenzen pointierter anwaltlicher Äusserungen zu ziehen sind:
Als Verfechter von Parteiinteressen ist der Anwalt einseitig für seinen Klienten tätig und darf in dessen Interesse energisch auftreten und sich scharf ausdrücken, ohne jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Gleichwohl ist er zu einer gewissen Zurückhaltung verpflichtet und gehalten, Eskalationen zu vermeiden. Zwar können ehrverletzende Äusserungen, wenn sie einen hinreichenden Sachbezug haben und nicht über das Notwendige hinausgehen, unter Umständen gerechtfertigt sein. Ansonsten aber werden unnötig diffamierende Äusserungen weder von Art. 12 lit. a BGFA(BGE 130 II 270 E. 3.2.2. S. 277, 106 Ia 100 E. 8 S. 108) noch der Meinungsfreiheit (Art. 16 BV) gedeckt (E. 4.1).
Die oben zitierten Äusserungen haben diese Grenzen auch nach Auffassung des Bundegerichts überschritten:
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer die Strafantragstellerin mit den beanstandeten Äusserungen verächtlich machte, ohne damit einen legitimen Zweck zu verfolgen. Derartige Bemerkungen sind geeignet, das Prozessklima aufzuheizen bzw. zu vergiften und dadurch den Verfahrensgang unnötig zu erschweren. Auch wenn die Verfehlungen nicht besonders schwer wiegen, so hat die Vorinstanz ihr Ermessen nicht überschritten, indem sie diese Art der Prozessführung durch den Beschwerdeführer nicht tolerierte. Sie hat sie zu Recht als bloss leichte Pflichtverletzung eingestuft und mit dem Verweis die leichteste Sanktion ausgesprochen (E. 4.5).
Dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Was mich trotzdem stört sind die sitzungspolizeilichen Disziplinarbefugnisse der Staatsanwaltschaft, die im Hauptverfahren selbst zur Prozesspartei wird. Diese Möglichkeit wird die Verfahrensleitung auch nach neuem Recht haben (§ 64 StPO/CH). Richtig wäre m.E., der Verfahrensleitung rein sitzungspolizeiliche Massnahmen zuzugestehen (z.B. Ausschluss von der gestörten Prozesshandlung). Für Disziplinarbussen wäre nach der hier vertretenen Auffassung allein die Aufsichtsbehörde zuständig. Aber der Gesetzgeber sieht das anders.