Der Tatverdacht im Entsiegelungsverfahren

Das Bundesgericht publiziert heute drei Entscheidungen zu Entsiegelungsentscheiden des ZMG Zürich (BGer 1B_286/2016, BGer 1B_297/2016 und BGer 1B_331/2016, alle vom 23.11.2016).

Im ersten Urteil wird die durch die Vorinstanz angeordnete Entsiegelung bestätigt, der angeblich fehlende hinreichende Tatverdacht bejaht.

Im zweiten Entscheid wird die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die verweigerte Entsiegelung gutgeheissen (diese hatte den hinreichenden Tatverdacht verneint). Der für das Eintreten erforderliche nicht wieder gutzumachende Rechtsnachteil lag im drohenden empfindlichen Beweisverlust und der damit verbundenen „Beeinträchtigung der strafprozessualen Wahrheitsfindung im Vorverfahren“. Zudem musste noch die eben erst geänderte Praxis bemüht werden:

In BGE 142 IV 196 hat das Bundesgericht (in Änderung seiner bisherigen Praxis und nach einem Meinungsaustauschverfahren gemäss Art. 23 Abs. 2 BGG) entschieden, dass in Kantonen, bei denen eine staatsanwaltliche Behörde für die Strafverfolgung aller Straftaten im ganzen Kantonsgebiet zuständig ist, nur diese Behörde die Beschwerdeberechtigung hat (BGE 142 IV 196 E. 1.5.2 S. 200).
Diese neue Rechtsprechung war im Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Beschwerde noch nicht amtlich publiziert. Aufgrund der oben dargelegten bisherigen Praxis war die Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung noch nicht ausreichend klar. In Nachachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 9 BV) ist die den Zugang zum Bundesgericht einschränkende Praxisänderung daher auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar (vgl. BGE 135 I 257 E. 1.6 S. 261). Darüber hinaus wurde die Beschwerdeschrift im vorliegenden Fall durch einen ausserordentlichen Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich unterzeichnet.

Der dritte Entscheid befasst sich mit der Beschwerdelegitimation einer Privatklägerin, die kein Siegelungsgesuch gestellt hatte. Auf die Beschwerde ist das Bundesgericht nicht eingetreten.

Zum Tatverdacht und dessen Prüfung im Entsiegelungsverfahren bestätigt das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung wie folgt:

Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Zwangsmassnahmengericht bei der Überprüfung des hinreichenden Tatverdachtes (Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO) keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Bestreitet die beschuldigte Person den Tatverdacht, ist vielmehr zu prüfen, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung der beschuldigten Person an dieser Tat vorliegen, die Strafbehörden somit das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein, um einen hinreichenden Tatverdacht begründen zu können (BGE 141 IV 87 E. 1.3.1 S. 90; 137 IV 122 E. 3.2 S. 126). Auch über die gerichtliche Verwertbarkeit von Beweismitteln ist in der Regel noch nicht im Untersuchungsverfahren abschliessend zu entscheiden (BGE 141 IV 289 E. 1 S. 291 f. mit Hinweisen). Zur Frage des Tatverdachtes bzw. zur Schuldfrage hat das Bundesgericht weder ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, noch dem erkennenden Strafrichter vorzugreifen (BGE 137 IV 122 E. 3.2 S. 126 f.) [E. 4.2 aus dem zweiten Entscheid].

Daraus könnte man schliessen, dass das Bundesgericht die Beurteilung durch ein ZMG nur bei Willkür verwirft. Richtig ist aber, dass ihm eigentlich jeder auch noch so theoretische Verdacht reicht und dass es dabei sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz stellt. Das Bundesgericht gewichtet einen drohenden Beweisverlust im Ergebnis daher regelmässig viel schwerer als eine reine Beweisausforschung.

Ziel des Entsiegelungsgesuches ist es, die dargelegten Verdachtsgründe mithilfe der edierten und versiegelten Bankunterlagen zu erhellen. Über das Dargelegte hinaus ist der Strafbehörde, welche den Endentscheid zu fällen haben wird, nicht vorzugreifen (zur betreffenden Praxis des Bundesgerichtes s. oben, E. 4.2) [E. 5.5].