Diabetes mellitus und SVG
Das Obergericht AG muss erneut heftige Kritik einstecken, die den Eindruck erweckt, es entscheide nach sachfremden Kriterien. Das Bundesgericht wirft ihm vor, die Argumente der Verteidigung nicht beachtet zu haben. Was die Vorinstanz hingegen festgestellt habe, trage zur Begründung des Schuldspruchs nichts bei (BGer 6B_1450/2017 vom 17.08.2018).
Zur Gehörsverletzung:
Der Beschwerdeführer macht geltend, die erste Instanz habe unwidersprochen festgestellt, dass er am betreffenden Morgen ein Langzeit-Insulin eingenommen hat. Dieses stabilisiere den Blutzuckerspiegel zusätzlich. Die Vorinstanz übergeht diesen Umstand und setzt sich auch nicht mit den Vorbringen des Beschwerdeführers zur Massgeblichkeit der verschiedenen Schwellenwerte (…) auseinander. Darin liegt zunächst einmal eine Gehörsverletzung (E. 1.3.1, Hervorhebungen durch mich).
Die entscheidenden Fragen hat die Vorinstanz offenbar gar nicht geprüft:
Der Vorhalt, es liege in der Verantwortung eines jeden Fahrzeugführers mit Diabetes mellitus, sich über die potentiell fahrfähigkeitsbeeinträchtigende Wirkung dieser Krankheit zu informieren, trägt jedenfalls solange nichts zur Begründung des Schuldspruchs bei, als die Vorinstanz keine konkreten, auf Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen über den tatsächlichen Kenntnisstand des Beschwerdeführers trifft. Die Relevanz des im Bericht des USZ nicht näher erläuterten „Zielbereichs“ resp. „Normbereichs“ sowie des von der ersten Instanz angenommenen „optimalen Bereichs“ für die vorliegend interessierenden Belange ist unklar. Ebenfalls offen ist, wie es sich mit der (zeitlich unmittelbar) stabilisierenden Wirkung des vor Antritt der Fahrt eingenommenen Langzeit-Insulins verhält (E. 3.2.1).
Es geht hier um Sorgfaltspflichten. In diesem Zusammenhang erscheint mir auch von Interesse, wie es sich mit Elektro-Akkus verhält. So weit ich gesehen habe, wurde das kürzliche Urteil aus dem Thurgau bis anhin nicht erläutert. Weiss der Blogger darüber etwas?
Aus schon grosser Ferne
Er weiss nichts darüber.
Ich darf darauf hinweisen, dass Langzeitinsuline nicht sofort eine Wirkung entfalten, sondern in der Regel (!) erst nach ca. 1 Std. die Wirkung einsetzt. Weiter wirken sie keineswegs stabilisierend, sondern so wie Insuline immer wirken – blutzuckersenkend. Weiter kommt es auf beinahe unzählige Faktoren des Typs und der Ausprägung des Diabetes mellitus an, wie sich dieser in welcher Situation verhält. In der Regel kennt ein Patient „seinen“ Zucker und er trifft alle notwendigen Massnahmen, um fahrtüchtig zu sein und zu bleiben. Dazu gehört ein Vorrat an Zucker im Fahrzeug, auf welchen jederzeit zugegriffen werden kann. Ist der Diabetes mellitus generell oder aufgrund besonderer Umstände (z.B. Krankheit) nicht berechenbar gibt es nur die Möglichkeit sich darauf einzustellen (Zuckervorrat jederzeit griffbereit, welchen man zurückgreift, wenn man den tiefen Blutzucker spürt) oder aufs Autofahren zu verzichten. Bleiben noch Umstände mit welchen man schlicht nicht rechnen konnte und die zu einem zu tiefen Blutzucker führten, den man – warum auch immer – nicht wahrgenommen oder nicht behandelt hat.
Fazit: Es ist richtig, dass jeder Einzelfall individuell geprüft werden muss. Ohne Aktenkenntnisse ist kaum zu beantworten, ob der Entscheid richtig ist oder nicht.