Die Fallstricke der StPO …
Das Bundesgericht lässt erneut eine Staatsanwaltschaft ins Messer laufen, das es mit seinem Entscheid BGE 141 IV 396 (Rechtsmittel der Beschwerde gegen selbständige nachträgliche gerichtliche Entscheide) selbst geöffnet hatte (BGer 6B_892/2016 vom 16.09.2016; vgl. dazu meinen früheren Beitrag). So sehr auch der neue Entscheid zu begrüssen ist, so sehr stellt sich auch die Frage, welche Eventualitäten man als Staatsanwalt oder als Verteidiger einkalkulieren muss.Im vorliegenden Fall war ein Argument der korrigierten Vorinstanz (Obergericht des Kantons Aargau) originell, die das Bundesgericht aber verwerfen musste:
Durch das unzulässige Eintreten auf das Rechtsmittel erlitt der Beschwerdeführer einen Nachteil, da im Rechtsmittelverfahren die Massnahmeverlängerung von 2 ½ Jahren auf 3 Jahre ab Urteilsdatum erhöht wurde. Der Einwand, ihm sei durch die Behandlung im Berufungsverfahren verfahrensrechtlich kein Nachteil entstanden, stösst im vorliegenden Kontext ins Leere.
Wie wäre es umgekehrt gewesen, d.h. wenn sich der Verteidiger auf die falsche Rechtsmittelbelehrung verlassen hätte? Gilt diesbezüglich noch die Rechtsprechung, dass ein Rechtsanwalt “nur” die in der amtlichen Sammlung publizierten BGE kennen muss und vorliegend somit im Vertrauen auf die falsche Rechtsmittelbelehrung geschützt worden wäre? Wäre dies tatsächlich so: Wieso braucht es ein Anwaltsmonopol für Strafverteidiger, wenn sie doch weniger “Profi” sein müssen wie die Staatsanwaltschaft?
Ich weiss nicht, ob der Verteidiger “nur” die AS kennen muss. Ich weiss auch nicht, wie das Bundesgericht im umgekehrten Fall entschieden hätte. Ich weiss aber, dass der Vergleich hinkt, weil der Verteidiger nicht Partei ist. Das zu spät eingereichte Rechtsmittel des Staatsanwalts gegen ein Urteil des staatlichen Gerichts dürfte nicht allzu schlimm sein. Das zu spät eingereichte Rechtsmittel des Verteidigers könnte aber dramatische Folgen für den vertretenen Klienten haben.