Die neue Form(losigkeit) des Strafantrags

Nach einem neuen Grundsatzentscheid des Bundesgerichts liegt ein gültiger Strafantrag auch dann vor, wenn ein solcher bloss in einem nicht unterzeichneten Polizeirapport erwähnt wird (BGE 6B_1237/2018 vom 15.05.2019, Publikation in der AS vorgesehen).

Das Bundesgericht verweist zunächst darauf, dass die Form des Strafantrags nach Art. 304 StPO gewahrt ist, wenn er schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll geben wird. Fraglich waren i.c. dann aber die Anforderungen an die Protokollierung. Weil im Zeitpunkt des Strafantrags noch gar kein Verfahren eröffnet sei (was jedenfalls in dieser Absolutheit nicht stimmt), könne es nicht auf die Protokollierungsvorschriften der StPO ankommen. Auch ein Polizeirapport sei daher ein “Protokoll im weiteren Sinn”

Die Protokollierungspflicht gemäss Art. 304 Abs. 1 StPO soll sicherstellen, dass auch ein mündlicher Strafantrag schriftlich festgehalten, d.h. dokumentiert ist. Sollen Geschädigte den Strafantrag bei der Polizei – wie in Art. 304 Abs. 1 StPO vorgesehen – wahlweise schriftlich oder mündlich stellen können, ist die Bestimmung dahingehend auszulegen, dass der mündliche Strafantrag auch in einem Polizeirapport protokolliert werden kann. Wenn in Art. 304 Abs. 1 StPO von Protokoll die Rede ist, kann damit folglich auch ein Polizeirapport als Protokoll im weiteren Sinne gemeint sein (E. 1.3.3). 

Schliesslich sei auch ein nicht unterzeichneter Polizeirapport eine Urkunde i.S.v. Art. 110 Abs. 4 StGB. Das Bundesgericht leitet dies aus dem Urkundenstrafrecht ab:

Als Verfasser steht der betreffende Polizeibeamte auch ohne seine Unterschrift als Garant für die Richtigkeit des von ihm erstellten Polizeirapports. Den erwähnten Polizeirapporten kommt zumindest in Bezug auf die Frage, ob ein Strafantrag gestellt wurde, daher auch ohne Unterschrift des rapportierenden Polizeibeamten Beweiskraft zu (E. 1.4.2).  

Weiterhin ungenügend bleibt aber ein per E-Mail erklärter Strafantrags, dies offenbar auch dann, wenn er im Polizeirapport festgehalten wird:

Der in einem Polizeirapport protokollierte Strafantrag kann mit einem Strafantrag per E-Mail, der nach der Rechtsprechung ungültig ist (Urteil 6B_284/2013 vom 10. Oktober 2013 E. 2.2), nicht verglichen werden. Bei einer E-Mail ohne elektronische Signatur besteht über den Absender wenig Gewissheit (BGE 142 IV 299 E. 1.1 S. 302). Bei einem mündlichen Strafantrag unter Anwesenden lässt sich die Identität des Strafantragstellers demgegenüber anhand von Personalausweisen überprüfen. Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers liegt darin, dass ein Strafantrag per E-Mail ohne elektronische Signatur den Formerfordernissen von Art. 304 Abs. 1 StPO nicht genügt, ein Polizeirapport jedoch ohne Unterschrift gültig sein kann, kein Widerspruch (E. 1.4.3).  

Was bleibt ist hingegen die Beweispflicht (oder Beweislast?) des Staats:

Die in Art. 10 Abs. 3 StPO verankerte Beweiswürdigungsregel gilt auch für die prozessualen Voraussetzungen der Strafverfolgung wie den Strafantrag (BBl 2006 1132 in fine). Ob ein gültiger Strafantrag vorliegt, ist vom Staat zu beweisen (Esther TOPHINKE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 20 zu Art. 10 StPO; CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 42 zu Art. 31 StPO) [E. 1.5.1].

Das ist aber grauste Theorie:

Die Vorinstanz verneint zu Recht Anhaltspunkte dafür, dass die Polizeirapporte nicht der Wahrheit entsprechen. Bereits die Tatsache, dass die Geschädigten die Polizei avisierten, deutet darauf hin, dass sie die Täterschaft strafrechtlich zur Verantwortung ziehen wollten, was beim Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB) und der Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 Abs. 1 StGB nur über einen Strafantrag geht.  
Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, drei Geschädigte hätten ausdrücklich erklärt, sich nicht als Privatkläger am Strafverfahren beteiligen zu wollen. Dies mag zutreffen. Der Beschwerdeführer vermischt damit jedoch den Strafantrag mit der Privatstrafklage. Bei Ersterem handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung; ohne Strafantrag darf der Staat kein Strafverfahren führen (Art. 303 Abs. 1 StPO; BGE 141 IV 205 E. 6.1 S. 213; 129 IV 305 E. 4.2.3 S. 311; RIEDO, a.a.O., N. 21 ff. vor Art. 30 StGB). Bei Letzterem geht es um die Frage, ob die geschädigte Person nebst der die Anklage vertretenden Staatsanwaltschaft (vgl. Art. 16 Abs. 2 StPO) als Straf- oder Zivilklägerin im Strafverfahren im Sinne von Art. 118 ff. StPO auftritt. Der Verzicht auf die Stellung als Privatkläger (vgl. Art. 120 StPO) gilt nicht als Rückzug des Strafantrags im Sinne von Art. 33 StGB (BGE 138 IV 248 E. 4.2.1 S. 252). Wird der Strafantrag nicht ausdrücklich zurückgezogen, ist das Strafverfahren trotz Desinteresse des Geschädigten fortzusetzen (MAZZUCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 118 StPO und N. 3 zu Art. 120 StPO) [E. 1.5.2].

Rätselhaft bleibt, wieso das Bundesgericht der Praxis sowas antut. An die Stelle klarer Regeln auch bezüglich Antragsfrist tritt nun die Beliebigkeit des nicht einmal unterzeichneten, nachträglich erstellen Polizeirapports.