Die neue Verhältnismässigkeit?
Das Bundesgericht definiert die Verhältnismässigkeit in BGer 1B_547/2020 vom 03.02.2021 neu:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wurde das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht verletzt: Sind die in Frage stehenden Aufzeichnungen untersuchungsrelevant, so steht die theoretische Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft die betreffenden Informationen auch auf andere Weise erlangen könnte, der Entsiegelung nicht entgegen. Selbst wenn sich aus den vom Beschwerdeführer erwähnten Einvernahmen wesentliche Erkenntnisse ergäben, würden dadurch die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Daten für das Strafverfahren nicht obsolet, da sie dazu dienen können, die an den Einvernahmen gemachten Aussagen zu belegen, zu widerlegen oder zu ergänzen (vgl. Urteil 1B_394/2017 vom 17. Januar 2018 E. 5.3 mit Hinweisen, nicht publ. in BGE 144 IV 74) [E. 3.2].
Solange die Möglichkeit besteht, die Information auf andere, weniger einschneidende Weise zu erhalten, kann die Entsiegelung als schwere Beschränkung mehrere Grundrechte doch nicht verhältnismässig sein. Nicht nachvollziehbar ist auch, dass Zwangsmassnahmen notwendig sind, um gemachte Aussagen zu belegen.
3000 Gebühr finde ich auch noch recht hoch für das kurze Urteil….
Manchmal überschleicht mich das Gefühl das Bundesgericht bestraft besonders Aussichtslose und schlappig geführte Verfahren auf diese Weise, während es in anderen Fällen, wo es wohl die Rechtsverletzung sieht, welche an der qualifizierten Rüge scheitert, dann manchmal grosszügiger zu sein scheint…das ist aber nur ein subjektiver Eindruck
Der Entscheid ist vom 3.2.21 (nicht 3.3.21).
Die Argumentation des BGer ist m.E. schlüssig. Man stelle sich folgende Situation vor: Der Beschuldigte legt ein Geständnis ab, welches die Siegelung (eigentlich) obsolet machen würde. Falsch. Geständnisse, Zeugenaussagen etc. können widerrufen werden. Das kann in ähnlicher weise mit so ziemlich jedem Beweismittel passieren. Somit ist die Entsiegelung notwendig, auch wenn die daraus gewonnene Information ggf. auch auf andere Weise hätte erlangt werden können.
Die zitierte Erwägung führt gar nicht zu einer “neuen Verhältnismässigkeit”. Das BGer führt ja selbst aus, dass es zur Wahrheitsfindung Sinn machen kann, eine Information über mehrere Beweismittel zu stützen. Ausserdem kommt unter Umständen den gefundenen Informationen in einem Mobiltelefon ganz ein anderer Beweiswert zu, als einer Einvernahme, die letztendlich auch immer angreifbar bleibt.
Kommt hinzu, wenn die Staatsanwaltschaft ein Mobiltelefon beschlagnahmt und ein Sieglungsgesuch gestellt wird, kann aufgrund des Fristenlaufs ja sowieso nicht einfach zugewartet werden, ob die im Mobiltelefon gesuchten Informationen nicht doch noch mit einem “milderen Mittel” bewiesen werden können. Wenn das Entsieglungsverfahren nicht eingeleitet wird, wäre dieses Beweismittel nachher verloren.