Die Polizei steht über dem Gesetz
Wie die Schweiz am Sonntag am Wochenende berichtet, hat die Kantonspolizei Zürich zwei “IMSI-Catcher” (vgl. meine früheren Beiträge) beschafft. Sie ist damit in der Lage, ohne jede Kontrolle Überwachungsmassnahmen durchzuführen, und zwar auch solche, die bewilligungs- oder genehmigungspflichtig wären, wie beispielsweise Inhaltsüberwachung in Echtzeit.
Die Meldung wurde gestern via NZZ (nur in der gedruckten Version) bestätigt:
Mithilfe des Catchers wird ein Mobiltelefon geortet, auch das Mithören von Telefonaten ist möglich. Da sich alle Mobiltelefone in einem gewissen Umkreis beim Catcher «einbuchen», werden auch Daten Unbeteiligter erfasst. Bei Demonstrationen werde man Catcher nicht einsetzen, sagt Schaub. Das Eidgenössische Polizei- und Justizdepartement will die Catcher-Anwendung in der Strafprozessordnung parallel zur Revision des Bundesgesetzes zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs juristisch regeln (NZZ vom 16.11.2013, S. 11).
Selbstverständlich wird die Polizei die Schaffung der gesetzlichen Grundlage nicht abwarten (zumal sie ihre Möglichkeiten ja sicher nicht missbrauchen würde). In einem freien Land ist ja bekanntlich erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Dazu die Schweiz am Sonntag im oben verlinkten Beitrag:
Durchschnittlich 15-mal jährlich kommt der einzige verfügbare Catcher in der Schweiz dafür laut Bundesamt für Polizei (Fedpol) zum Einsatz. Ein offenes Geheimnis ist allerdings, dass das Gerät bereits heute auch zur Verbrechensbekämpfung genutzt wird – auf rechtlich wackliger Grundlage.
Was bitte soll wackeln, wo nichts ist?
Naja, es ist eben Ansichtssache.
“Technische Überwachungen” sind ja bereits in StPO 280 ff. geregelt und unterstehen genau den Regeln, welche jene, die gewisse Technologien für ungeregelt halten, auf diese angewandt sehen wollen. Bei aller Empörung hat mir noch keiner erklären können, wieso das Einfangen von Funkwellen explizit separat vom Einfangen von Schallwellen geregelt werden müsste (oder was damit gewonnen wäre). Es ist materiell derselbe Eingriff.
Soweit der Eingriff über die mit staatlicher Konzession tätigen Provider abgewickelt wird, hat dies – wegen der Rechtspflichten der Provider – im Rahmen von BÜPF/ StPO 269 ff. zu geschehen. Soweit aus technischen Gründen der Provider nicht einbezogen werden muss, ist es eine “technische Überwachungsmassnahme” nach StPO 280 i.V.m. StPO 269 ff.
Man sollte meines Erachtens wegkommen von der technologiefixierten Betrachtung hin zu einer Eingriffs-zentrischen Betrachtung. Geheime Eingriffe in die Privatsphäre und insbesondere die Kommunikation sind einlässlich (und durchaus streng) geregelt. Aus meiner Sicht bestehen hier gar keine Regulierungslücken.
Art. 281 Abs.1 StPO: “Der Einsatz darf nur gegenüber der beschuldigten Person angeordnet werden.”
Wie, lieber daz, soll das bei einem IMSI-Catcher funktionieren?!
Genau gleich wie bei allen anderen technischen Überwachungen. Praktisch jede Zwangsmassnahme betrifft auch Dritte und bedingt gewisse Schutzmassnahmen bei der Ausgestaltung und Umsetzung. Bei technischen Überwachungen und Telefonüberwachungen werden diese Schutzmassnahmen (nebst der Zulässigkeit an sich) durch das Zwangsmassnahmengericht einlässlich geprüft. Sie unterliegen den strengsten Voraussetzungen, die unsere StPO zu bieten hat.
Wie schon angedeutet: Mir scheint, dass bei neueren Technologien regelmässig vermeitlich neue Problemfelder ‘entdeckt’ werden, die bei nüchterner Betrachtung weder inhaltlich neu noch ungelöst sind.
StPO 281 beschränkt im Übrigen nur den Kreis der möglichen Zielpersonen.
IMSI-Catcher, theoretische Angst, ohne wirklichen Bezug zur Praxis greift um sich.
Die Ermittler und die Staatsanwaltschaften haben sich heutzutage auf den verstärkten US-Trend der Verteidiger eingestellt. Diese konzentrieren sich häufig nur noch auf die Art und Weise wie Beweise erlangt und Verdachtsmomente generiert wurden. Die Verteidigungsstrategie ist ein Beweisverwertungsverbot. Der Sachverhalt wird gar nicht mehr in Frage gestellt.
Aus diesem Grund wird von der Polizei das gesprochene Wort nur mit Genehmigung des Zwangsmassnahmegerichtes abegehört (Zufallsfunde müssen ja auch noch bewilligt werden!). Nur so halten die Beweise später den “Angriffen” der Verteidigung stand!
Wenn das Erlangen von gerichtsverwertbaren Beweisen das Ziel ist, kann man sich den Arbeitsaufwand für das nicht bewilligte Abhören schenken. Kein Polizist wird stunden damit verbringen, irgendwelche im Endeffekt nutzlose Daten auszuwerten! Was bringt es denn, wenn man nichts davon ins Verfahren einfliessen lassen kann?
Wofür also würde der IMSI-Catcher im Feld eingesetzt? Z.B für das Eingrenzen/Orten eines sich nicht bewegenden Mobiltelefons. Denn was tun, wenn ein Straftäter ein Telefon mit einer Anrufweiterleigung irgendwo in einer Wohnung oder einem Keller deponiert hat zu dem er keinen offensichtlichen Bezug aufweist? Oder wenn Personen in Not (geäusserte Suizidabsichten) aufgefunden werden müssen (das wäre eine Überwachung ausserhalb der StPO)?
Also, entspannen und einen Praktiker fragen, bevor man sich theoretisch, abstrakten Missbrauchsmöglichkeiten durch die Polizei hingibt.
Lieber Cop, das ist zu einfach. Ich unterstelle keinem Praktiker, dass er das Gesetz umgeht. Aber ich will es kontrollieren können. Als Verteidiger und als Bürger. Es wäre im Übrigen nicht das erste Mal, dass ein Praktiker “Beweise” verwendet, die er illegal erworben hat. Oder will jemand widersprechen?
Wenn die Beweise illegal erhoben worden sind und das offensichtlich bekannt ist, können sie ja dann auch nicht verwertet werden. Und sollte es tatsächlich mal der Fall sein, wird die Verwertbarkeit ja in 141 StPO geregelt.
Ich persönlich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass einer aus unserer Guilde einen Beschuldigten mit einem illegalen Beweis konfrontiert hat! Wie schreibt der Ermittler sowas in seinem Rapport? Z.B. nachdem der Beschuldigte mit den rechtswidrig erhobenen Fakten konfrontiert wurde, gestand er die Tat, die Wertung des Beweises wird dem Gericht überlassen.
Man muss sich langsam von den verbohrten TV-Ermittlern, die mit dem Schuh auf den Tisch hauen und die Lampe ins Gesicht von Verdächtigen drehen verabschieden.
Die Veränderungen der heutigen Zeit haben auch bei Polizisiten ihre Spuren hinterlassen. War früher das treibende Gefühl, Gerechtigkeit durchzusetzen, ist man heute vielmehr ein Justiz-Dienstleister.
Der Beamtenstatus wurde abgeschafft, Cops haben heute eine normale Kündigungsfrist von 3 Monaten (statt 4 Jahre), es gibt Leistungsvereinbarungen, Fälle werden nach Ermittlungsaufwand bugetiert und mit Projektmangement bewirtschaftet, Überzeit ist aus Kostengründen nicht gewünscht, Medien konzentrieren sich meistens auf die Fehler und der Bürger, der spricht nur noch von Bussenabzocke.
Das alles resultiert bei Cops in der Erkenntnis, man tut seine Pflicht für den Bürger nach bestem Wissen, Gewissen und dem abgelegten Eid, danach ist aber auch schon Schluss. Gearbeitet wird mit den vom Bürger bereitgestellten Gesetzen, entweder diese Werkzeuge reichen für eine Verurteilung und das Sprechen von Recht aus oder nicht.
Wenn das alle so sehen würden, wäre es wunderbar, würde aber trotzdem nicht vor rechtsstaatlicher Kontrolle entbinden. Zur Frage der rechtswidrig erlangten Beweise nur zwei kleine Hinweise:
1. es gibt einen Unterschied zwischen Beweisverwendung und Beweisverwertung.
2. beispielsweise eine illegal erfolgte Wahrnehmung kann Verdachtsmomente oder Ermittlungsansätze generieren, deren Verwendung dann zu verwertbaren Beweisen führen, weil der illegale Ansatz nicht offen gelegt wird.
@Cop on 18/12/2013 at 15:24:
Wenn Sie persönlich in Ihrem Umfeld noch nie eine grenzwertige Beweisbeschaffung gesehen haben, empfehle ich die Lektüre dieses Blogs und der Bundesgerichtsurteile zum Thema.
Die Versuchung scheint eben zu gross, wenn Leute von deren Schuld man eigentlich überzeugt ist, ungestraft davon kommen würden….
Und IMSI-Catcher sind nun ganz eindeutig ein fragwürdiges Überwachungswerzeug, weil die Telekomfirmen ja eine komplette Überwachungsstruktur für alle Arten legaler Überwachung des Handyverkehrs vorhalten müssen. Wozu dann bitte gleich _zwei_ solcher Geräte für die Zürcher Polizei?
Der benutze Algorythmus ist ohnehin schwach, ist schon lange bekannt das ein schwaches bzw. ein geschwächtes Design verwendet wurde, wahrscheinlich das man dazumals leider schnüffeln kann.Der ist so billig das es noch andere Möglichkeiten gibt als offizielle IMSI-Catcher um Mobilekommunikation abzuhören.
Deswegen wurde beim UMTS dann auch ein neuer verwendet, der gilt momentan noch als gut aber nicht ausgeschlossen das auch da wieder absichtlich irgendwas geschwächt wird um den Aufwand für “offizielles” Abhören niedriger zu halten. Irgendwie bringt so was ohnehin nix, weil egal für wen man was schwächt, weiss man schliesslich nie wer sonst noch davon profitieren wird.
Deshalb ist besser einfach mal davon auszugehen das alles abgehört werden kann und wird, jederzeit und überall – Deshalb Dinge die wirklich niemand mitbekommen soll kommuniziert man anders als über Mobile, Festnetz, Email oder dergleichen…
In Zeiten wo alles und überall abhört und gescannt wird ist “poisoning” übrigens besonders vernichtend für die Schnüffler, weil die Datenflut ohnehin schon riesig ist, ist absichtliches verbreiten von Falschinformationen über vermutete abgehörte Kanäle tödlich… Genauso macht man ganze Datensammlungen ziemlich unbrauchbar, das klappt besonders gut und effizient wenn die Daten automatisch gesammelt werden (was bei der Menge an Daten heutzutage gar nicht mehr anders geht)…
Wenn man zbs. weiss das eine Firma bestimmte Adressen sammelt, dann schaut man das sie aber Tausende oder Millionen von falschen Adressen “mit”sammelt die ihren Definitionen entspricht, diese falschen Adressen generiert man natürlich auch automatisch zufällig…
Am Ende hat die Firma zwar ganz viele Adressen gesammelt, aber es sind genauso viele “echte” wie “falsche” dabei und was nützt einem eine solche Datenbank noch wirklich wenn man jede einzelne wiederum prüfen muss ob die nun echt oder einfach zufällig generiert wurde?
So finde eich zbs. die Abhöraktion der NSA wo man Chatkanäle in Videospielen abgehört und mitgelesen hat weil man vermutete das Terroristen diese Kanäle für ihre Kommunikation nutzen, völlig sinnlos… Wie soll “passendes Spiel vorausgesetzt” man unterscheiden, ob der geplante Sprengstoffanschlag oder die geplanten Attentate von denen gesprochen oder die erwähnt wurden nun spielbezogen sind oder nicht? Gerade auf der XBOX gibt es dutzende Spiele in denen man genau solche Aktionen macht, es gibt sogar Spiele in denen man Terrorist ist oder als Anti-Terroragent spielt und dergleichen, da potenzielle Terroristen anhand der In-Game Kommunikation zu identifizieren ist ziemlich sinnlos…
Ich persönlich erlaube mir auch ab und zu den Spass bei bestimmten (die andere Seite erlaubt sich diesen Spass auch ab und zu) Telefongsprächen absichtlich über die nächste Drogenlieferung, den nächsten Sprengstoffanschlag zu quatschen, frage nach wo das schon bestellte Uran oder Plutonium abgeblieben ist oder scheisse den anderen zusammen weil wieder zu wenig Munition für die zahlreichen Waffen angekommen sind usw. usf. Bis jetzt habe ich nie komische Anrufe bekommen oder hatte das Gefühl das ich plötzlich beobachtet werde, was dann wohl gegen flächendeckendes Abhören spricht, denn dieser Spass läuft über Festnetz, Mobile und ganz besonders in Spielechats… Besonders lustig sind jeweils die Reaktionen der Mithören in unmittelbarer Nähe die sowas mitbekommen wenn man am Mobile spricht, die Gesichter die man da sieht sind einfach unbezahlbar….
Wenn das nun plötzlich ganz viele machen würden (keine Ahnung wie viele das ab und zu tun aber wir sind sicher nicht die einzigen…) dann werden besonders automatische auf Schlüsselwörter getrimmte Systeme sabotiert aber sicher ist so was auch verwirrend wenn so was zufällig mittels IMSI-Catcher mitbekommen wird und das schönste daran ist, wenn es darauf irgendwelche Reaktionen gibt, dann weiss man 100% das man illegal abgehört wurde….
So und nun muss ich mal jemanden anrufen, die Idioten haben schon wieder die falschen Zünder an den Bombengürteln montiert, dabei wurde doch klar gesagt das es Zugschnurrzünder sein sollen und keine bei denen man Knöpfe drücken muss, tz tz aber eben wenn man sich nicht um alles selber kümmert, läuft eben nix….
@Chris 22/12/2013:
Das von Ihnen geschilderte poisoning wird viel zu wenig praktiziert um die Datensammler in irgend einer ernsthaften Weise zu belasten.
Ich nehme an, dass zwar die Selektionsfilter bei Verwendung interessanter Schlüsselwörter schon mal ansprechen, aber dann doch wegen fehlenden anderen Merkmalen wieder fallen lassen.
Die dafür zusätzlich verbrauchte Rechenleistung ist derart gering, dass sich der Spass echt nicht lohnt. Sollte es Ihnen aber jemals gelingen, die NSA ernsthaft davon zu überzeugen, dass Sie kurz vor der Ausführung eines Attentats auf den Präsidenten stehen, setzen Sie sich dem Risiko der Liquidation durch Drohnen, Autounfall und andere Unwägbarkeiten aus!
Inzwischen hat sich einiges getan. Der Staatsanwalt erklärt, was die Rechtsgrundlage ist. Und auch die Polizei erklärt die Rechtsgrundlage.
http://www.watson.ch/Schweiz/Interview/234073806-Thomas-Hansjakob-zur-mobilen-Handy-Überwachung–«Wir-fischen-nicht-im-Trüben–Wir-überwachen-dann–wenn-ein-Verdacht-besteht»
@David
Danke für den Link, ich habe sehr gelacht. (Auch wenn das Thema ja eigentlich gar nicht lustig ist) Ich hatte ja schon immer die Vermutung, dass Herr Hansjakob sehr arrogant ist, aber ich freue mich, das nun auch schriftlich bestätigt bekommen zu haben.
Ich hab leider ausser dem Lehrbuch von Jositsch, der als langjähriger Kämpfer für mehr Überwachung auch Partei und nicht unabhängig ist, gerade keine Literatur zum Strafprozessrecht zur Hand. Kann jemand mal für mich nachsehen, was Riklin, Schmidt oder Niggli/Wiprächtiger zum Thema schreiben? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es zum Einsatz solcher Bewegungsprofilsammler wirklich keine einzige kritische Stimme in der Lehre gibt…
Übrigens ist schon der erste Absatz sachlich falsch, wenn er behauptet, für Personenfeststellung ausserhalb von Strafverfahren bedürfe es keine Genehmigung. Das noch geltende BÜPF schreibt in Art. 3 Abs. 4 fest, dass auch bei der Teilnehmeridentifikation die Anordnung der Überwachungsmethode einer richterlichen Genehmigung bedarf. Laut Gerichtsorganisationsgesetz muss diese übrigens auch das Obergericht erteilen, nicht wie im Artikel geschrieben steht, das Bezirksgericht. (Vgl. GOG ZH § 47 lit. c)
Schön ist auch die Aussage, dass Irrtümer der Polizei, insbesondere bei Hausdurchsuchungen nie zu Konsequenten bei den unschuldigen Betroffenen führen und dass Massnahmen abgebrochen würden, sobald der Irrtum bekannt ist.
Irgendwie kann ich das nicht so ganz glauben…
Und weil Hansjakob als Erster Staatsanwalt ja Partei ist, halte ich es für sinnvoll, dem mal eine Sichtweise der Gegenseite, also von einem Strafverteidiger entgegenzuhalten, die ich für eher realitätsgetreu halte:
https://youtu.be/bMGF2b3SP9o, https://youtu.be/3T-n1KH2GXU
(ist zwar aus .DE, aber es dürfte hier wohl prozentual kaum weniger Fehler geben…)
Was die Vorratsdaten angeht, verweise ich einfach mal auf unsere Petition gegen das BÜPF, in der die Aussagen der einzelnen Gerichtsentscheide gegen die Vorratsdatenspeicherung zusammengefasst wiedergegeben sind:
http://bvggchem.twoday.net/stories/528989066/
(Das BVerfG – und nicht nur dieses, sondern auch andere Gerichte – haben nämlich bei weitem nicht nur das Fehlen einer genügenden gesetzlichen Grundlage bemängelt, sie haben auch grundlegende Zweifel an der Notwendigkeit, der Wirksamkeit und dem Sinn einer Vorratsdatenspeicherung geäussert.)