Die Strafjustiz schafft sich ab

Der Ausbau des Strafbefehlsverfahrens führt u.a. dazu, dass deutlich weniger als zehn Prozent aller Strafurteile nicht mehr durch die Justiz, sondern durch die Exekutive ergehen. Auf diese Entwicklung macht Catherine Boss in der SonntagsZeitung (Ausgabe vom 3.8., 16 f.) mit Unterstützung von Bundesrichter Oberholzer aufmerksam. Oberholzer führt die neue Machtkonzentration bei den Staatsanwälten auf deren geschickte politische Einflussnahme zurück und macht den Richtern und der Anwaltschaft zum Vorwurf, das Thema verschlafen zu haben. Zumindest für die Anwaltschaft kann ich das nur teilweise bestätigen. Die Anwaltschaft hat nicht geschlafen, sondern uneinheitlich und deshalb weitgehend erfolglos gekämpft. Ihre einflussreichsten Vertreter wollen Strafverfolgung, nicht Strafjustiz. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für einen Teil der Richter. Sie sind ja bereits gewählt und haben nichts dagegen, wenn ihnen die Staatsanwaltschaft die Arbeit abnimmt.

Die Forderung von Oberholzer nach einer Beschränkung der Strafbefehlskompetenz wird daher wohl chancenlos bleiben. Man wird daher dem Risiko des Machtmissbrauchs weiterhin dadurch begegnen, dass nur die integersten, besten und erfahrensten Mitglieder unserer Gesellschaft für eine Stelle bei einer Staatsanwaltschaft in Frage kommen.