Die Universität als Hilfs-Sheriff
Das Bundesgericht stellt einen sehr bemerkenswerten Entscheid online, Der zu beurteilende Sachverhalt ist kaum zu glauben. Sehr erfreulich ist aber, was das Bundesgericht zur Verwertbarkeit von Beweisen ausführt (BGer 1B_26/2016 vom 29.11.2016, Fünferbesetzung).
Dass sich eine Universität ohne entsprechende Verpflichtung dazu bereit erklärt, der Staatsanwaltschaft Daten aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen, die sie – auch vor staatlichem Zugriff – schützen muss, würde man in einer westlichen Demokratie eigentlich nicht für möglich halten, Aber:
Die Universität Zürich überprüfte auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft sämtliche universitären Telefonanschlüsse (Festnetz- und Mobilanschlüsse) sowie sämtliche universitären E-Mail-Adressen von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Studentinnen und Studenten rückwirkend auf Kontakte mit bestimmten Telefonanschlüssen sowie E-Mail-Adressen von Journalisten bzw. Zeitungen und übergab der Staatsanwaltschaft die so ermittelten Kontaktdaten unter Angabe der die Anschlüsse sowie E-Mail-Adressen üblicherweise benützenden Personen.
Das Bundesgericht äussert seine Bedenken über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich mit folgender Überlegung, die es auch rechtlich unterlegt:
Die Staatsanwaltschaft kann sich dem Gebot, Beweise rechtmässig zu erheben, nämlich nicht dadurch entziehen, dass sie sich insoweit aktiv anderer staatlicher Organe bedient, für welche die Grundsätze gemäss Art. 5 BV ebenso gelten und welche die Grundrechte ebenfalls unmittelbar zu beachten haben (E. 4.1).
Die weiteren Erwägungen des Bundesgerichts sind bemerkenswert, weil es bei anderen Zwangsmassnahmen wesentlich grosszügiger ist. Hier stellt es fest, dass die Beweiserhebungen der Staatsanwaltschaft, handelnd durch die Universität, nicht der Erhärtung eines bereits vorhandenen Tatverdachts dienen konnten. Es verlangt dabei richtigerweise das, was es sonst gerade nicht verlangt, nämlich dass sich der Tatverdacht gegen eine bestimmte Person richten muss:
Die Erhebung der Fernmeldekontaktdaten diente somit nicht der Überprüfung des Tatverdachts gegen eine bestimmte Person oder bestimmte Personen, sondern versuchte diesen erst zu begründen. Ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO, welcher die Erhebung der Fernmeldedaten gerechtfertigt hätte, bestand somit nicht (E. 4.3.1).
Völlig richtig erscheint auch die Auffassung des Bundesgerichts, dass die privaten Interessen der vielen von der Datenerhebung betroffenen, nicht beschuldigten Personen, am Schutz ihrer Privatsphäre gesamthaft betrachtet schwerer wiegen als die entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen (E. 4.3.2).
Sehr einfach hält sich die Begründung im Schluss auf die Unverwertbarkeit:
Nach dem Ausgeführten wurden die Fernmeldekontaktdaten ohne Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts sowie in unverhältnismässiger Art und Weise und somit in Verletzung von Art. 197 Abs. 1 und 2 StPO erhoben, womit sie in Anwendung von Art. 141 Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht verwertbar sind. Dass die erhobenen Daten nicht im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO der Aufklärung von besonders schweren Straftaten dienen, ergibt sich aus dem bereits Gesagten. Die Vorinstanz hat deshalb im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, indem sie zum Schluss kam, die erhobenen Fernmeldekontaktdaten seien im Strafverfahren gegen die Beschwerdegegnerin nicht verwertbar (E. 4).
Wegzuputzen waren nun noch mögliche Folgebeweise:
Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, wonach die Strafbehörden auf andere, rechtmässige Weise genügend Hinweise für die Begründung eines Tatverdachts gegen die beschuldigte Person hätte erlangen können, womit die gestützt auf die Daten des Fernmeldeverkehrs erhobenen Folgebeweise im Strafverfahren ebenfalls nicht als Beweismittel verwendet werden dürften. Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden, zumal die Beschwerdeführerin nicht darlegt und nicht ersichtlich ist, inwiefern diese im Ergebnis im Sinne von Art. 95 BGG rechtsverletzend sein sollten. Soweit die Erhebung der Inhalte gewisser E-Mails zwischen dreizehn namentlich bestimmten Angehörigen der Universität bzw. drei nicht persönlich zuzuordnenden E-Mail-Boxen sowie drei Journalisten wie schon die Erhebung der Fernmeldekontaktdaten nicht ohnehin ebenfalls unrechtmässig war, handelt es sich jedenfalls auch dabei um nicht verwertbare Folgebeweise. Dies zumal sich die Staatsanwaltschaft auch insoweit einzig auf die von der Universität Zürich vorgängig vorgenommene Auswertung der E-Mail-Kontaktdaten stützte, ohne dass ersichtlich wäre, inwiefern sie auf andere, rechtmässige Weise genügend Hinweise für die Begründung eines hinreichenden Tatverdachts gegen die Beschwerdegegnerin hätte erlangen können (E. 4.5).
Wenn das die neuen Massstäbe des Bundesgerichts sind, dann lebe es hoch!
E. 4.3.1 überzeugt nicht. Wenn stets ein Tatverdacht gegen eine bestimmte Person verlangt wird, obschon eine Anlasstat vorliegt, wäre eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt nicht möglich.
Damit sägt das Bundesgericht in der Tat jede Zwangsmassnahme ab, die auf die Identifikation einer bisher unbekannten Täterschaft zielt. Dabei sind solche Zwangsmassnahmen ausdrücklich im Gesetz verankert (DNA-Massenuntersuchung, Art. 256 StPO).
Aber es hätte m.E. schon vorher (E. 4.1) prüfen müssen, ob die Verletzung von Art. 194 Abs. 2 StPO mit der Androhung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Universität, die Überprüfung der Fernmeldekontakte formell anzuordnen (!), zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Immerhin geht es da nicht nur um staatsrechtliche Zuständigkeitsfragen, sondern explizit (auch) um individuelle Geheimhaltungsinteressen.
Krasser Einfall. Allerdings will ich sagen, dass man sich nicht immer auf die Einfachheit der Dinge verlassen sollte. Realismus ist manchmal eine Tugend.