Die Unschuldsvermutung existiert nicht

Dass Beschwerden ans Bundesgericht wegen Verletzung des Grundsatzes “in dubio pro reo” aussichtslos sind, wurde hier schon verschiedentlich thematisiert. Ein neues Beispiel dafür gibt ein heute online gestelltes Urteil (6B_729/2007 vom 06.01.2008). Darin geht es um einen Mann, der u.a. wegen mehrfacher schwerer Sexualdelikte zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wurde. Dass es nebst den Aussagen des Opfers noch andere Beweismittel gab, geht aus dem Urteil nicht hervor. Wie in solchen Fällen üblich – anderes bleibt kaum je – berief sich der Beschwerdeführer auf die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde mit einer Begründung ab, die der Bedeutung des Falls für den Beschwerdeführer und m.E. auch das Opfer nicht gerecht werden kann. Es fasst einfach die Feststellungen der Vorinstanz zusammen und stellt fest, dass diese nicht unhaltbar seien, was sie in sich bei einem kantonalen Obergericht ja eigentlich auch nie sind.

Die Vorinstanz hat, ohne in Willkür zu verfallen, dargelegt, weshalb sie die Aussagen der Beschwerdegegnerin 1 als glaubhaft eingestuft hat. Die Schlussfolgerung im angefochtenen Urteil, es bestünden keine offensichtlich erheblichen bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückenden Zweifel an der Schuld des Beschwerdeführers, ist nicht unhaltbar. Nicht gefolgt werden kann insbesondere der Argumentation des Beschwerdeführers, wonach die Vergewaltigungs- und Schändungsvorwürfe deshalb nicht stichhaltig seien, weil er eine Beziehung zum Opfer unterhalten habe. Die Tatsache, dass eine Beziehung bestand, rechtfertigt es weder, die Partnerin zur Duldung des Beischlafs zu nötigen noch deren Widerstandsunfähigkeit auszunützen und sie zum Beischlaf zu missbrauchen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz den Grundsatz “in dubio pro reo” nicht missachtet und ihre Begründungspflicht nicht verletzt hat. Ebenso wenig war es aufgrund der Gesamtumstände geboten, weitere Abklärungen zur psychischen Verfassung der Beschwerdegegnerin 1 zum Tatzeitpunkt vorzunehmen (E. 7.2).

Mit der gleichen Begründungstiefe hätte man auch sagen können, die Vorinstanz sei nicht in Willkür verfallen, weil sie nicht in Willkür verfallen ist. Abgesehen von der oben zitierten und für das Bundesgericht unwürdigen Begründung, liegt das wahre Übel aber darin, dass die Unschuldsvermutung weiterhin nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür überprüft wird:

Inwiefern dieser Grundsatz verletzt ist, prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür, d.h. es greift nur ein, wenn das Sachgericht die angeklagte Person verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an deren Schuld fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2 und 4 mit Hinweisen, E. 2.6).

Es wird einfach so getan, als gehe es nur um Sachverhalt. Bei richtiger Betrachtung handelt es sich doch aber m.E. um eine Rechtsfrage, die ohne Einschränkung der Kognition frei zu überprüfen wäre. Aber damit fand schon der Beschwerdeführer in BGE 127 I 38 kein Gehör. Die Begründung in jenem Fall war übrigens ebenfalls nicht bundesgerichtswürdig.

Dem mag man entgegen halten, dass es ja bereits zwei Vorinstanzen mit voller Kognition gab. Dieses Argument sticht aber bereits deshalb nicht, weil sich viele Vorinstanzen primär nach der Angreifbarkeit ihrer Urteile vor Bundesgericht richten. Meine These lautet somit: solange die Unschuldsvermutung vor Bundesgericht mit Aussicht auf Erfolg nicht geltend gemacht werden kann, wird sie von den Vorinstanzen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt beachtet.