Die Würde der Kuh
Landwirt X. liess zwei Kühe aus seinem Betrieb schlachten, die bei der Anlieferung im Schlachthof „starke und längerwährende Verschmutzungen“ in Form von Mistrollen an den Vorderknien, den Hintergliedmassen sowie am Bauch aufwiesen. Obwohl der Schlachttierkörper vom Veterinärdienst für geniessbar erklärt wurde, beurteilte er die Verschmutzung der Tiere in lebensmittelrechtlicher Hinsicht als problematisch. X. wurde in zweiter Instanz wegen mehrfacher vorsätzlicher Tierquälerei (Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG) und vorsätzlicher Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz (Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG) verurteilt. Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung wegen Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz, kassiert aber den Schuldspruch wegen mehrfacher vorsätzlicher Tierquälerei (BGer 6B_635/2012 vom 14.03.2013). Es hält fest, dass eine Vernachlässigung strafrechtlich nur relevant sein kann, wenn sie mit einer Missachtung der Würde des Tieres einhergeht:
Dennoch muss auch eine strafrechtlich relevante Vernachlässigung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG, wie die übrigen Tatbestandsvarianten der Bestimmung (Misshandlung, Überanstrengung), mit einer Missachtung der Würde des Tieres einhergehen, ansonsten nicht von einer Tierquälerei durch Vernachlässigung gesprochen werden kann. Von einer Missachtung der Würde ist auszugehen, wenn das Wohlergehen des Tieres beeinträchtigt ist, weil Schmerzen, Leiden, Schäden oder Angst nicht vermieden werden (vgl. Art. 3 lit. a und b Ziff. 4 TSchG; siehe auch Art. 4 Abs. 2 TSchG). Ob der Tatbestand der Tierquälerei durch Vernachlässigung erfüllt ist, beurteilt sich bei der unterlassenen Pflege eines kranken Tieres in erster Linie nach dem Krankheitsbild (zum Ganzen Urteil 6B_653/2011 vom 30. Januar 2012 E. 3.3) [E. 3.2.1].
Damit entzieht das Bundesgericht einer strafrechtlichen Verurteilung zum Vornherein den Boden, denn die „Würde des Tieres“ gibt es möglicherweise gar nicht; jedenfalls erscheint mir der Begriff viel zu unbestimmt, um einer strafrechtlichen Beurteilung zugänglich sein zu können. Das Bundesgericht versucht es trotzdem und zieht als Beispiel für eine relevante Beeinträchtignug des Wohlergehens aufgrund von Verschmutzungen Hautreizungen heran, die im zu beurteilenden Fall aber nicht festgestellt wurden. fel zieht in der NZZ folgendes Fazit:
Als Fazit des Verdikts bleibt, dass aus Sicht des höchsten Gerichts die Würde eines Wesens unangetastet bleibt, solange eine Beeinträchtigung nicht die Intensität einer Hautreizung erreicht (Neue Zürcher Zeitung vom 28.03.2013, 15).
Die Verurteilung bezüglich LMG wird vom Bundesgericht hingegen geschützt.
Art. 7 Abs. 1 LMG verlangt, dass Tiere, soweit sie zum Herstellen von Lebensmitteln verwendet werden, so beschaffen sind, dass die entsprechenden Lebensmittel die menschliche Gesundheit nicht gefährden. Für die Beurteilung massgeblich sind die Fütterung und Pflege (Art. 7 Abs. 2 lit. a LMG). Zur Pflege von Tieren gehört auch die Reinigung. Gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. c der Verordnung vom 23. November 2005 über das Schlachten und die Fleischkontrolle (VSFK; SR 817.190) müssen Tiere ohne offensichtliche Verunreinigungen zum Schlachten gebracht werden. Die amtliche Kontrolle entbindet den Tierhalter nicht von der Pflicht zur Selbstkontrolle (Urteil 6B_652/2011 vom 30. Januar 2012 E. 1.3). Art. 9 Abs. 1 lit. c VSFK soll einen hygienischen Umgang mit Schlachttierkörpern sicherstellen. Die Bestimmung konkretisiert Art. 7 LMG. Das Schlachten von stark verschmutzten Tieren kann eine Gesundheitsgefährdung des Konsumenten zur Folge haben und verstösst gegen Art. 48 Abs. 1 lit. g i.V.m. Art. 7 LMG (E. 4.1).
Dass die Tiere in stark verschmutztem Zustand geschlachtet wurden, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, kann aber wohl mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Verbindlich festgestellt war nur, dass die Tiere verschmutzt angeliefert worden waren. Nach der angewendeten Strafbestimmung kann das m.E. aber nicht reichen. Danach macht sich strafbar, wer
Lebensmittel, Zusatzstoffe oder Gebrauchsgegenstände so herstellt, behandelt, lagert, transportiert oder abgibt, dass sie den Anforderungen dieses Gesetzes nicht entsprechen;
Wie soll der Landwirt diesen Tatbestand denn erfüllt haben, wenn die Tiere keine Lebensmittel sind, was das Bundesgericht ausdrücklich festhält?
Interessant ist auch der Kostenentscheid. Dem teilweise obsiegenden Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von CHF 2,000.00 auferlegt. andererseits erhält er eine Parteientschädigung von CHF 1,500.00. Nur ein Höchstgericht kann sich erlauben, diesen Kostenentscheid derart summarisch zu begründen:
Der Beschwerdeführer wird im Umfang seines Unterliegens kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Soweit er obsiegt, sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton St. Gallen hat ihm für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG) [E. 5].