Disziplinwidrige Audrücke III

Die Serie von Entscheidungen über anwaltliche Entgleisungen scheint nicht abzureissen. Gemäss einem gestern online gestellten Urteil (2A.499/2006 vom 11.06.2007) beschwerte sich ein Anwalt erfolglos über ein gegen ihn verhängtes Berufsverbot von vier Monaten wegen wiederholt abfällig und ehrenrührigen Äusserungen:

Der Beschwerdeführer hat in seinen an die SUVA gerichteten Eingaben mehrfach deren Kreisärzten niederträchtiges oder gar strafbares Verhalten vorgeworfen. Er sprach unter anderem von einer “auffällig nach Ausländerhass riechenden Einschätzung”, von “gefälschten ärztlichen Berichten” und erhob wiederholt den Vorwurf, ein bestimmter Kreisarzt habe seine Klientin “abschlachten” wollen.

Angesichts des Sündenregisters des Anwalts erschien die Disziplinarstrafe gerade noch als verhältnismässig.

Letzterer hat sich wiederholt Verfehlungen der vorliegenden Art zuschulden kommen lassen, weshalb ihm von der Aufsichtskommission mehrmals Disziplinarbussen wegen Verletzung des Anstands in der Mandatsführung bzw. wegen ehrverletzender Äusserungen auferlegt worden sind: am 11. März 1999 eine Busse von 500 Franken, am 23. September 2002 eine solche von 3’000 Franken (…) und am 1. Dezember 2003 eine solche von 2’000 Franken. Zusätzlich ist der Beschwerdeführer wegen mehrfacher übler Nachrede strafrechtlich belangt und mit einer Busse von 6’000 Franken bestraft worden, nachdem er einen Kreisarzt zu Unrecht der eventualvorsätzlichen schweren Körperverletzung, der Urkundenfälschung im Amt und des Betrugsversuchs bezichtigt hatte (…). Ferner ist der Beschwerdeführer ebenfalls in Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht regelmässig mit Eingaben ungebührlichen Inhalts aufgefallen und gestützt auf Art. 31 Abs. 1 OG wiederholt mit Ordnungsbussen belegt worden (…). Bei diesen Gegebenheiten durfte die Vorinstanz zulässigerweise davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer durch eine erneute blosse Disziplinarbusse nicht dazu bewegt werden könne, sich in seinen Schriftsätzen eines sachlichen Tons zu befleissigen. Mithin ist das Verhängen eines befristeten Berufsausübungsverbots vorliegend nicht zu beanstanden (E. 5.2).

Bemerkenswert sind folgende Ausführungen des Bundesgerichts:

Es verhält sich im anwaltsrechtlichen Disziplinarverfahren nicht wie in einem Strafverfahren wegen Ehrverletzung bzw. übler Nachrede, wo der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens sowohl mittels Wahrheitsbeweis (aufgrund eines Strafurteils; vgl. E. 2.2) als auch mittels Gutglaubensbeweis gerechtfertigt werden kann (vgl. Art. 173 Ziff. 2 StGB). Ungebührliche Äusserungen eines Rechtsanwalts verstossen nicht erst dann gegen die Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung, wenn der Straftatbestand der Ehrverletzung erfüllt ist (…). Selbst wenn ein Rechtsanwalt in guten Treuen davon ausgeht, ein bestimmter Straftatbestand sei erfüllt, ist er gestützt auf Art. 12 lit. a BGFA verpflichtet, sich zurückhaltender Formulierungen zu bedienen, solange kein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt. Bezüglich eines Verstosses gegen diese Berufspflicht steht ihm kein Gutglaubensbeweis im strafrechtlichen Sinne offen (E. 3.2, Hervorhebungen durch mich).

Diese Erwägung leuchtet mir nicht ein (ok, es ist schon spät). Strafrechtlich verhält es sich doch so, dass der Anwalt aufgrund der Berufspflichten mit seinen Äusserungen weniger zurückhaltend sein muss als andere. Die Berufspflichten begründen einen gesetzlichen Rechtfertigungsgrund, gleich wie der Wahrheits- und der Gutglaubensbeweis. Nach der zitierten Erwägung können nun aber genau dieselben Rechtfertigungsgründe im Disziplinarverfahren nicht angerufen werden. Strafrechtlich dienen dem Anwalt die Berufspflichten als Rechtfertigungsgrund, disziplinarrechtlich führen sie zur Sanktion.

Richtig kann m.E. kann nur folgendes sein: Wer sich mit seinen Äusserungen nicht strafbar macht, kann dafür auch disziplinarisch nicht belangt werden.  Anders zu entscheiden heisst, die Disziplinarbehörden auch als Moralinstanzen zu qualifizieren und den Anwälten Maulkörbe zu verpassen.

Für die Praxis heisst die Losung halt nach wie vor: Sag was Du willst, aber sag es mit zurückhaltenden Formulierungen. Wer subtile Formulierungen beherrscht, trifft sein “Opfer” ja eh viel härter.