(Dringender) Tatverdacht
Der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts (Art. 221 Abs. 1 StPO) wird in der Praxis immer wieder relativiert, teilweise auch ohne zwingenden Grund. Ein Beispiel dafür stellt ein heute publiziertes Urteil des Bundesgerichts zu einem Fall dar, bei dem der dringende Tatverdacht kaum ernsthaft zu bestreiten war.
Dennoch weist das Bundesgericht darauf hin, dass zu Beginn des Verfahrens offenbar gar kein “dringender” Tatverdacht erforderlich sei (BGer 1B_383/2013 vom 18.11.2013):
Bei Beginn der Strafuntersuchung sind die Anforderungen an den dringenden Tatverdacht noch geringer als im Laufe des Strafverfahrens, in dem ein immer strengerer Massstab an die Erheblichkeit und Konkretheit des Tatverdachts zu stellen ist (E. 4).
Weil das Gesetz einen dringenden Tatverdacht verlangt, scheint man nun innerhalb dieses dringenden Tatverdachts abstufen zu wollen, als wäre die Abgrenzung zu den anderen Verdachtsgraden (Anfangsverdacht, einfacher Tatverdacht, hinreichender Tatverdacht) nicht bereits unscharf genug. Zu Beginn eines Verfahrens reicht nach E. 4 des zitierten Urteils also ein dringender Tatverdacht, der erst später erheblich und konkret werden muss, um noch als dringend zu gelten. Gemeint sind aber wohl eher die Anhaltspunkte, welche die Dringlichkeit des Tatverdachts begründen und bestimmen lassen. Ein auch noch so diffuser Tatverdacht ohne konkrete (kriminalistisch gesicherte) Anhaltspunkte erscheint mir als ungenügend. Dem Bundesgericht scheinen aber konkrete Anhaltspunkte zu reichen, jedenfalls zu Beginn der Untersuchung:
Würdigt man die dargelegten Umstände gesamthaft, bestehen mit der Vorinstanz konkrete Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführerin am besagten Morgen um kurz nach 04.00 Uhr in die Garderobe ging, um dort den Brand zu legen (E. 4.2.3).
Der zitierte Entscheid ist bestimmt richtig. Mich stören die Unschärfen in der Begründung, die es zulassen, zu Beginn der Untersuchung jeden Tatverdacht als dringend zu qualifizieren.