Durch Zufall zum Straftäter gewordener Psychoanalytiker?

Das Bundesgericht (BGer 6B_549/2008 vom 03.02.2009, zur BGE-Publikation vorgesehen) kassiert den Freispruch eines Psychoanalytikers, der einer späteren Straftäterin (versuchte vorsätzliche Tötung) eine “Unbedenklichkeitserklärung” ausgestellt hatte und so ermöglichte, dass sie wieder in den Besitz der damals beschlagnahmten späteren Tatwaffe kam. Angeklagt war bzw. ist der Psychoanalytiker wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung.

Die Vorinstanz hatte den Freispruch im Wesentlichen damit begründet, dass die Täterin bei der Tatbegehung auch eine andere Schusswaffe bei sich hatte, die zuvor nie beschlagnahmt worden war. Deshalb sei die Unbedenklichkeitserklärung für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht relevant gewesen.

Die entscheidende Frage, bei der es sich um eine Tatfrage handle, welche das Bundesgericht nicht anstelle der Vorinstanz klären könne, wird im zitierten Entscheid wie folgt dargestellt:

Unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung ist im vorliegenden Fall entscheidend, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 in Bezug auf die Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre und ob die zuständige Behörde in Anbetracht dieser Einschätzung nach Massgabe der Bestimmungen der Waffengesetzgebung im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums die Rückgabe der Schusswaffen angeordnet oder aber die Rückgabe allein wegen einer relevanten Suizidgefahr oder (auch) wegen einer relevanten Gefahr für Dritte verweigert hätte (E. 5.3.2) 

Der Vorinstanz gibt das Bundesgericht in verdankenswerter Weise gleich ein Drehbuch auf den Weg:

 

5.4 […]. Die [Vorinstanz] wird sich mit der bis anhin nicht entschiedenen Frage befassen, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 in Bezug auf die Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre, und sie wird prüfen, ob in Anbetracht dieser Einschätzung und in Anwendung der Bestimmungen über die Waffengesetzgebung die Rückgabe der Schusswaffen angeordnet oder aber allein wegen einer relevanten Suizidgefahr oder (auch) wegen einer relevanten Gefahr für Dritte verweigert worden wäre.
5.4.1 Sollte die Vorinstanz zur Erkenntnis gelangen, dass die Abklärung dieser Frage im heutigen Zeitpunkt nicht mehr möglich ist, ist der Beschwerdegegner in Anwendung der Maxime “in dubio pro reo” als Beweislastregel freizusprechen, weil nicht erstellt ist, dass ein sorgfältiges Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt des Erfolgs verhindert hätte. 
5.4.2 Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung mangels einer relevanten Gefahr die Rückgaben der beiden Schusswaffen angeordnet hätte, so wäre der Beschwerdegegner freizusprechen, weil ein sorgfältiges Verhalten den Eintritt des Erfolgs nicht verhindert hätte und somit zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschwerdegegners und dem eingetretenen Erfolg der erforderliche Zusammenhang nicht besteht.
5.4.3 Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung die Rückgabe der Schusswaffen nicht wegen einer relevanten Gefahr für Dritte, sondern allein wegen einer relevanten Suizidgefahr verweigert hätte, so hätte der Beschwerdegegner den Tatbestand der fahrlässigen schweren Köperverletzung nicht erfüllt, obschon bei sorgfaltsgemässem Verhalten die beiden Schusswaffen nicht zurückgegeben worden wären. Denn soweit aufgrund der Einschätzung der sorgfältigen Fachperson eine relevante Gefahr für Dritte verneint worden wäre, war das sorgfaltswidrige Verhalten des Beschwerdegegners, obschon es die Rückgabe der beiden Pistolen zur Folge hatte, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den allgemeinen Erfahrungen des Lebens nicht geeignet, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass es am erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang fehlt.
5.4.4 Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung (auch) eine relevante Gefahr für Dritte bejaht hätte, so ist der eingetretene Erfolg dem Beschwerdegegner zurechenbar. In diesem Fall hätte der Beschwerdegegner den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung erfüllt, da auch die übrigen Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Der Beschwerdegegner schuf durch seine sorgfaltswidrige Untersuchung und die gestützt darauf ausgestellte “Unbedenklichkeitserklärung”, auf deren Grundlage das Polizeikommando die beiden Pistolen A. zurückgab, ein unerlaubtes Risiko, das sich im tatbestandsmässigen Erfolg in seiner konkreten Gestalt verwirklichte, was er bei pflichtgemässer Vorsicht voraussehen konnte, da seine Methode, wie er wusste, erheblich von den etablierten, gründlicheren Untersuchungsmethoden abwich. Mit anderen Worten war gemäss einer insoweit zutreffenden Erwägung im angefochtenen Entscheid (S. 19 E. 4) sein sorgfaltswidriges Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens geeignet, einen Erfolg von der Art des eingetretenen zu begünstigen, was er bei pflichtgemässer Vorsicht auch erkennen musste.
Zu einer Verurteilung führt dann nur die letzte Variante (E. 5.4.4). Damit hängt die Strafbarkeit des Psychoanalytikers davon ab, mit welcher Waffe der Erfolg verwirklicht wurde, was laut Urteil der Vorinstanz der Zufall entschieden hat. Kann das richtig sein?