Durchsuchung und Beschlagnahme im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht

Das Bundesgericht beschäftigt sich in BGer 1B_636/2011 mit den Voraussetzungen von nichtfreiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen und hält fest, dass für Beschlagnahmungen und Entsiegelungen ein “hinreichender, objektiv begründeter konkreter Tatverdacht gegenüber der Beschuldigten Person ausreicht. Was darunter zu verstehen ist, führt es leider nicht aus und verweist auf die volle Kognition des erkennenden Sachrichters (!), der ja erst viel später zum Zug kommt. Dass das Bundesgericht sich selbst ebenfalls volle Kognition zuspricht, erscheint mir jedenfalls auf den ersten Blick als widersprüchlich:

Nach der Praxis des Bundesgerichts setzen nichtfreiheitsentziehende strafprozessuale Zwangsmassnahmen grundsätzlich nicht die gleich hohe Intensität eines Tatverdachts voraus wie Untersuchungs- oder Sicherheitshaft. Für Beschlagnahmungen und Entsiegelungen genügt ein hinreichender, objektiv begründeter konkreter Tatverdacht gegenüber der beschuldigten Person (BGE 124 IV 313 E. 4 S. 316; Urteil 1B_212/2010 vom 22. September 2010 E. 3.1 mit Hinweisen; vgl. auch den Wortlaut von Art. 309 Abs. 1 lit. a, Art. 221 Abs. 1 und Art. 263 Abs. 1 StPO). Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter nimmt das Bundesgericht bei der Überprüfung des hinreichenden Tatverdachtes im strafprozessualen Zwangsmassnahmenverfahren keine erschöpfende Abwägung aller strafrechtlich in Betracht fallenden Tat- und Rechtsfragen vor (BGE 124 IV 313 E. 4 S. 316; Urteil 1B_212/2010 vom 22. September 2010 E. 3.2) [E.2.2.3]

“Keine erschöpfende Abwägung” sagt leider nichts darüber aus, wie nah an den Rand der Erschöpfung sich das Bundesgericht begibt. Im konkreten Fall reichte die Sicherstellung von 8 Verpackungsschachteln aus China zur Begründung des Verdachts der Widerhandlungen gegen das Markenschutzgesetz. Dass der Hausdurchsuchung eine Editionsverfügung voranzugehen hat, verwirft das Bundesgericht ebenso wie die Rüge, die Aussonderung sensibler Daten sei vor Ort anlässlich der Durchsuchung vorzunehmen:

Angesichts des beschriebenen Tatverdachts erscheint plausibel, dass bei einer der Hausdurchsuchung und Beschlagnahme vorangehenden Herausgabeaufforderung die Gefahr bestanden hätte, dass die zu beschlagnahmenden Objekte beiseite geschafft bzw. Daten gelöscht werden. Auch das Argument der Beschwerdeführer, eine Aussonderung sensibler Daten hätte vor Ort erfolgen können, überzeugt nicht. Der Schutz sensibler Daten wird durch den Rechtsbehelf der Siegelung gewährleistet. Davon haben die Beschwerdeführer Gebrauch gemacht. Zudem ist die Trennung von verfahrensrelevanten und verfahrensirrelevanten sowie von schutzwürdigen und nicht schutzwürdigen Daten vor allem bei einer grösseren Datenmenge ein anspruchsvolles Unterfangen. Art. 247 Abs. 2 StPO sieht denn auch vor, dass zur Prüfung des Inhalts von zu durchsuchenden Aufzeichnungen, insbesondere zur Aussonderung von Aufzeichnungen mit geschütztem Inhalt, sachverständige Personen beigezogen werden können. Dass diese Aufgabe von der Polizei ad hoc anlässlich der Hausdurchsuchung hätte wahrgenommen sollen, erscheint als nicht praktikabel (E. 2.4.2.)

Weiter nimmt das Bundesgericht dazu Stellung, dass ein Siegelungsgesuch eine Spielgelung der Festplatte verhindern und damit die Rückgabe verzögern könne, was jedenfalls gemäss Vorinstanz der Gesuchsteller zu vertreten habe:

Der Vorwurf, die Beschwerdeführerin habe es selbst zu verantworten, dass sie über die Datenträger noch nicht verfügen kann, ist in dieser Form nicht haltbar. Die Siegelung ist ein gesetzlich vorgesehener Rechtsbehelf und die Beschlagnahme muss sich als verhältnismässig erweisen, unabhängig davon, ob von diesem Rechtsbehelf Gebrauch gemacht wurde oder nicht. Die Vorinstanz übersieht zudem, dass die Beschlagnahme nicht nur im Zeitpunkt ihrer Anordnung rechtmässig sein muss, sondern solange, als sie aufrechterhalten wird.
Dennoch ist der angefochtene Entscheid im Ergebnis nicht zu beanstanden, dies im Wesentlichen aus zwei Gründen. Zum einen besteht nach den Ausführungen der Vorinstanz nicht nur in Bezug auf den Beschwerdeführer als Angestellten, sondern auch in Bezug auf den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin der Verdacht, er handle mit gefälschten Rolex-Uhren. Damit ist von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auszugehen, dass auf den Computern der Beschwerdeführerin Beweise zu finden sind. Zum andern wäre es an der Beschwerdeführerin gewesen, spätestens anlässlich des Entsiegelungsgesuchs zu beantragen, eine Kopie (bzw. eine Spiegelung als Sonderform der Kopie; vgl. MICHAEL AEPLI, Die strafprozessuale Sicherstellung von elektronisch gespeicherten Daten, 2004, S. 79) der Datenträger zur Verfügung zu stellen. In Art. 247 Abs. 3 StPO ist dieses Recht, welches dem Verhältnismässigkeitsprinzip Nachachtung verschafft, ausdrücklich vorgesehen (vgl. auch Art. 192 Abs. 2 StPO). Dies hätte es erlaubt, eine Kopie versiegelt zu beschlagnahmen und die Datenträger wieder an die Beschwerdeführerin herauszugeben oder umgekehrt (vgl. zu den möglichen Modalitäten AEPLI, a.a.O. S. 76-81). Eine Kopie kann auch noch angefertigt werden, wenn die Beschlagnahme bereits erfolgt ist, da, wie bereits erwähnt, die Verhältnismässigkeit einer Zwangsmassnahme während deren gesamter Dauer gegeben sein muss. Die Anwesenheit eines Sachverständigen kann in dieser Situation einerseits die Authentizität und Vollständigkeit der Daten gewährleisten und andererseits verhindern, dass der Inhaber oder andere Personen Daten manipulieren oder die Strafverfolgungsbehörde von schützenswerten Daten Kenntnis erhält (OLIVIER THORMANN/BEAT BRECHBÜHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 16 und 30 zu Art. 247 StPO). Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin macht nicht geltend, das Erstellen von Kopien sei zu Unrecht abgelehnt worden, oder auch nur, sie habe einen entsprechenden Antrag gestellt (Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. auch THORMANN /BRECHBÜHL, a.a.O., N. 32 zu Art. 247 StPO). Unter diesen Voraussetzungen kann nicht von fehlender Zumutbarkeit ausgegangen werden (E. 2.5.2, Hervorhebungen durch mich).

Dass das Bundesgericht überhaupt auf die Beschwerde eintritt, begründet es mit dem nicht wieder gutzumachenden Nachteil der Beschlagnahme:

Die Beschlagnahme eines Gegenstands bewirkt einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 126 I 97 E. 1b S. 101; Urteil 1B_157/2007 vom 25. Oktober 2007 E. 1.2; je mit Hinweisen; dies im Gegensatz zu anderen Beweismassnahmen, vgl. BGE 136 IV 92 E. 4.1 S. 95 f. mit Hinweis, 134 III 188 E. 2.3 S. 191 f.). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerden ist grundsätzlich einzutreten (E. 1.3).

Ob das Bundesgericht (ev. vorfrageweise) auch die geltend gemachte Widerrechtlichkeit der Hausdurchsuchung beurteilen würde, bleibt offen.