Ehrverletzende Äusserungen durch Anwälte
Das Bundesgericht bestätigt den Freispruch eines Anwalts, der die Gegenpartei in einem zivilrechtlichen Massnahmeverfahren mit „angriffigen Formulierungen“ beschuldigt hatte, widerrechtlich gehandelt zu haben (BGer 6B_358/2011 vom 22.08.2011). Der Anwalt hat sich zu Recht auf Art. 14 StGB berufen:
Im Wettbewerbsrecht sind Zivil- und Strafverfahren eng miteinander verknüpft, da unlauterer Wettbewerb bei vorsätzlichem Handeln auch strafbar ist (vgl. Art. 23 UWG). Hätten strafrechtliche Anschuldigungen im Zivilprozess strikte zu unterbleiben, wäre der zivilrechtliche Schutz weitgehend unterbunden.
Die Äusserungen des Beschwerdegegners waren sachbezogen und auf das Notwendige beschränkt. Namentlich kann der Antrag auf Beizug der Akten des parallelen Strafverfahrens nicht als sachfremd bezeichnet werden. Dies umso weniger als sich, wie der Gesuchsreplik zu entnehmen ist, auch der Gesuchsgegner im zivilen Massnahmeverfahren auf die Aussagen des Beschwerdeführers berief. Der gesuchstellenden Partei musste es möglich sein, den Standpunkt des Beschwerdeführers, welcher mit ihrer eigenen Sachverhaltsschilderung nicht vereinbar war, zu widerlegen und zu entkräften. Entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers bezog sich die erste Äusserung erkennbar auf seine Aussagen anlässlich der untersuchungsrichterlichen Befragung vom 18. Oktober 2004. Diese standen mit dem zivilen Massnahmeverfahren in einem direkten Zusammenhang. Der Beschwerdeführer wurde keineswegs generell als Lügner oder Krimineller bezeichnet. Wohl wäre bezüglich der ersten Äusserung auch eine weniger angriffige Formulierung möglich gewesen. Inhaltlich wäre es jedoch beim Vorwurf geblieben, dass die Aussagen des Beschwerdeführers vom 18. Oktober 2004 nach Auffassung der gesuchstellenden Partei unwahr sind (E. 2.4.1, Hervorhebungen durch mich).
Dass der Anwalt seine Behauptungen nicht als blosse Vermutungen deklariert hat, ändert am Freispruch nichts:
Die Vorinstanz weist zutreffend darauf hin, dass vom Beschwerdegegner unter den gegebenen Umständen nicht verlangt werden konnte, seine Äusserungen als Vermutung zu bezeichnen. Die gesuchstellende Partei muss im Zivilprozess den Beweis für ihre Tatsachenbehauptungen erbringen (vgl. Art. 8 ZGB). Die Darlegung blosser Vermutungen genügt nicht. Die Behauptungen des Beschwerdegegners und die diesen widersprechenden Aussagen des Beschwerdeführers vom 18. Oktober 2004 waren Beweisthema im zivilen Massnahmeverfahren. Für den Leser der Rechtsschrift war klar, dass es insoweit nicht um „bewiesene Tatsachen“, sondern „zu beweisende Tatsachenbehauptungen“ ging. Da die Aussagen des Beschwerdeführers mit den vom Beschwerdegegner als Rechtsvertreter der Gesuchsteller zu beweisenden bzw. glaubhaft zu machenden Tatsachen im Widerspruch standen, konnte er sich nicht damit begnügen, diese als „vermutlich“ falsch abzutun.
Die Rechtsprechung verpflichtet die Prozessparteien, Vermutungen als solche zu bezeichnen. Dies gilt u.a. für Äusserungen im Rahmen von Strafanzeigen (Urteil 6S.490/2002 vom 9. Januar 2004 E. 3.2; vgl. auch Urteil 2A.499/2006 vom 11. Juni 2007 E. 2.2), welche oftmals auf Vermutungen basieren, nicht jedoch für im betreffenden (Zivil-)Verfahren zu beweisende oder zumindest glaubhaft zu machende Tatsachen (vgl. BGE 131 IV 154 E. 1.4; Urteil 6B_906/2009 vom 22. Dezember 2009 E. 2.3). Der Beschwerdeführer kann aus den zitierten Bundesgerichtsurteilen nichts zu seinen Gunsten ableiten (E: 2.4.3).
Der Entscheid ist sehr zu begrüssen, weil er auch Anwälten weiterhin (oder wieder?) ermöglicht, ihren Auftrag zu erfüllen, ohne selbst wegen Ehrverletzung verurteilt zu werden. Die Tendenz, den gegnerischen Anwalt wegen Ehrverletzung anzuzeigen, könnte damit gebrochen werden. Besonders wichtig erscheinen mir die Hinweise des Bundesgerichts, dass es ohne Verletzung des objektiven Tatbestands der Ehrverletzungsdelikte oft halt einfach nicht geht.
Dass das Bundesgericht überhaupt auf die Beschwerde eingetreten ist, war im Übrigen nicht selbstverständlich:
Die unterschiedlichen Übergangsregelungen in der StPO und im BGG haben zur Folge, dass weder die Staatsanwaltschaft (welche am kantonalen Privatstrafklageverfahren nicht beteiligt war und gemäss dem anwendbaren kantonalen Verfahrensrecht nicht beschwerdelegitimiert ist) noch die Privatstrafklägerschaft (wenn sie im kantonalen Verfahren keine Zivilansprüche geltend machte; vgl. BGE 1B_236/2011 vom 15. Juli 2011 E. 1.3.1; BGE 131 IV 195 E. 1.2.2) zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert sind. Dies entspricht nicht Sinn und Zweck der neuen Bestimmung von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG, welche nach Wegfall des Privatstrafklageverfahrens um die überflüssig gewordene Ziff. 4 gekürzt wurde, nicht jedoch den Privatstrafklägern in den noch unter altem Recht geführten Privatstrafklageverfahren das Rechtsmittel an das Bundesgericht abschneiden will. Auf die Beschwerde ist gestützt auf Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 aBGG einzutreten.
Offen bleiben kann, ob dies auch gelten muss, wenn das erstinstanzliche Verfahren nach bisherigem Recht als Privatstrafklageverfahren geführt wurde (vgl. Art. 456 StPO), der erstinstanzliche Entscheid jedoch nach dem 1. Januar 2011 ergangen ist und sich Rechtsmittel dagegen gemäss Art. 454 Abs. 1 StPO nach der StPO richten (vgl. dazu NIKLAUS SCHMID, Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich 2010, N. 351 S. 97 f., N. 270 und 272 S. 75) (E. 1.4).
Ist es auch ehrverletzend wenn der Vermieter die Mietkaution kurzfristig noch einbehalten will, weil er mit anderen ausländischen Mietern schlechte Erfahrungen gemacht habe?