Ein Jahr für einen Kopfstoss
Die Strafjustiz des Kantons Aargau hat einen Mann wegen eines Kopfstosses zu einem Jahr Freiheitsstrafe (bedingt bei einer Probezeit von vier Jahren; Busse CHF 1,000.00 und Kosten) verurteilt. Das Opfer erlitt einen Nasen- und Augenhölenbruch, die ambulant behandelt wurden. Während drei Tagen war es arbeitsunfähig. Das Bundesgericht stellt das Verfahren ein. Es wirft dem Obergericht des Kantons Aargau vor, es habe sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht rechtsfehlerhaft entschieden (BGer 6B_161/2016 vom 12.10.2016).
Die Vorinstanz stützte sich auf ein forensisch-biomechanisches Gutachten, aus dem sie unhaltbare Schlüsse zog. Sehr wertvoll für die Praxis ist die folgende Erwägung des Bundesgerichts. Sie ist geeignet, die Praxis zu relativieren, die – pointiert ausgedrückt – aus jeder Tätlichkeit einen versuchten Mord machen will:
Auch wenn als bekannt vorausgesetzt werden kann, dass der Kopf gegenüber Schlägen, Stössen und Tritten besonders sensibel ist und Kopfstösse zu Verletzungen wie Riss-Quetsch-Wunden, Nasenbluten und Nasenbeinbrüchen sowie unter besonderen Umständen zu Frakturen im Gesichtsbereich führen können, erweist sich der fälschlicherweise als Allgemeinwissen titulierte Erfahrungsschatz, ein Kopfstoss mit massiver Kraft habe regelmässig schwere und bleibende Schäden oder eine lebensgefährliche Verletzung zur Folge, als nicht haltbar und vermag schon unter tatsächlichen Gesichtspunkten keinen Eventualvorsatz des Beschwerdeführers hinsichtlich einer schweren respektive lebensgefährlichen Körperverletzung i.S.v. Art. 122 StGB begründen (E. 1.4.1).
Wichtig sind auch die rechtlichen Erwägungen zum Eventualvorsatz:
Dass eine Tathandlung abstrakt geeignet ist, eine schwere Körperverletzung i.S.v. Art. 122 StGB herbeizuführen, genügt für sich nicht ohne Weiteres, um (Eventual-) Vorsatz des Täters hinsichtlich einer der in Art. 122 StGB beschriebenen Folgen anzunehmen. Dies ergibt sich bereits aus dem Tatbestand der qualifiziert einfachen Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, der gerade der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung Rechnung trägt. Die Körperverletzung muss mit einem Tatmittel (Gift, Waffe oder ein gefährlicher Gegenstand) verübt werden, das ein hohes Risiko einer schweren Körperverletzung i.S.v. Art. 122 StGB bewirkt (…). Gelten jedoch Körperteile wie Arme und Beine oder Schultern nach einhelliger Auffassung nicht als gefährliches Werkzeug i.S.v. Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB (…), müssen bei abstrakt lebensgefährlichen Tathandlungen ohne Tatwerkzeuge weitere Umstände hinzutreten, die im konkreten Fall auf den Eintritt und die Inkaufnahme einer schweren Verletzung i.S.v. Art 122 StGB schliessen lassen. Derartige Umstände zeigt die Vorinstanz nicht auf und können vorliegend weder aufgrund des Kopfstosses als Tathandlung noch dem Verletzungsbild angenommen werden. Dass der Beschwerdeführer in Bezug auf eine nach dem Allgemeinverständnis “schwere” Beeinträchtigung der körperlichen Integrität (z.B. Nasenbeinbruch, “Kopfverletzung”) eventualvorsätzlich handelte, lässt vorliegend nicht den Schluss zu, dass er eine lebensgefährliche Verletzung oder eine andere schwere Schädigung von A. i.S.v. Art. 122 StGB für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, da als schwere Körperverletzungen nur ganz erhebliche Beeinträchtigungen gelten, deren Eintritt und damit Inkaufnahme nicht leichthin angenommen werden kann (E. 1.4.2).
Das Bundesgericht entscheidet mangles Strafantrags reformatorisch auf Einstellung des Verfahrens.