Ein weiteres Beschwerderecht der Staatsanwaltchaft

Zehn Jahre nach Einführung der StPO erfindet das Bundesgericht für die Staatsanwälte eine weitere Beschwerdemöglichkeit. Neu hat die Staatsanwaltschaft auch ein Beschwerderecht nach StPO, wenn das ZMG eine beantragte Ersatzmassnahme nach Art. 237 StPO nicht anordnet (BGE 1B_438/2020 vom 27.11.2020, Publikation in der AS vorgesehen). Dazu folgende Bemerkungen:

a) Das Bundesgericht hätte auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft mangels nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur gar nicht eintreten dürfen. Das Bundesgericht begründet in der Eintretenserwägung nur einen Nachteil, prüft aber die Frage nicht, ob er rechtlicher Natur sei.

b) Das Bundesgericht nimmt die Frage zum Anlass, seine frühere Rechtsprechung zum Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen Haftentscheide zu rechtfertigen. Dass eine solche Beschwerde aber zur Vereltzung von Art. 5 EMRK führt, spricht es nicht an.

c) Das Bundesgericht macht geltend, der Bundesrat sehe in der laufenden Revision der StPO ein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft vor. Das stimmt. Es stimmt aber auch, dass die Rechtskommission des Nationalrats genau das ablehnt. Das hätte man ja auch erwähnen können (vgl. dazu Ruckstuhl/Jeker, Revision StPO – Wohin gehen wir?, Anwaltsrevue 1/21, 9). Das Bundesgericht hält an seiner Beschwerde contra legem fest:

Darauf zurückzukommen besteht umso weniger Anlass, als der Bundesrat mit Botschaft vom 28. August 2019 zur Änderung der Strafprozessordnung vorschlägt, die Rechtsprechung in das Gesetz zu überführen. Der bundesrätliche Entwurf sieht in Art. 222 StPO einen neuen Absatz 2 vor. Danach kann die Staatsanwaltschaft Entscheide über die Nichtanordnung, die Nichtverlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten (BBl 2019 6744 f. und 6794). Dem Entscheid des Gesetzgebers über den Entwurf des Bundesrats ist hier nicht vorzugreifen (E. 2.2).

Tja, kann passieren. Aber regen sich darüber eigentlich nur von Berufs wegen parteiische Strafverteidiger auf oder gibt es auch der Verfassung verpflichtete National- und Ständeräte, denen es nicht egal ist, dass sich das Bundesgericht als Gesetzgeber gebärdet?